Die Ketzerbibel
arbeiten.»
«Das hast du schon so oft gesagt!»
«Sagt ihr, dass sie zurückkommen muss!», wandte sich der verlassene Ehemann an die Ratsherren.
«Ich sehe auch keinen Grund, warum man dir erlauben sollte, hierzubleiben», sagte der Angesprochene, ein alter Mann mit einem kantigen, herrischen Gesicht. Er stand der örtlichen Wollweberzunft vor und schätzte die Beginen nicht. «Es können die Weiber nicht einfach Haus und Hof verlassen, nur weil sie sich einmal über ihren Mann geärgert haben. Wo kämen wir da hin?»
«Aber er hat mich verstoßen!», schrie Garsende. «Alle haben es gehört, seine Hure, unsere Nachbarn! Fragt die Leute in der Rue Fontaine, man wird es Euch bestätigen!»
«Er hat laut und deutlich gesagt: ‹Pack dich! Verschwinde! Ich will dich nie wieder sehen!› Ich habe es gehört. Magdalène hat es gehört», sagte Danielle.
Garsende sah sie dankbar an. «Da habt Ihr’s.»
«Eine Bettlerin und eine ehemalige Hure, was sind das für Zeugen?», schrie jetzt Maudru. Er war wieder aufgesprungen und stemmte beide Handflächen flach auf den Tisch. Sein Gesicht war rot angelaufen.
‹Er hat ein cholerisches Temperament›, dachte Danielle unwillkürlich, ‹einen Überfluss an gelber Galle.›
«Wenn sich gut beleumundete Zeugen dafür finden lassen, dass er sie verstoßen hat, dann hat sie das Recht, Euch zu verlassen, und darf ihre Mitgift zurückfordern», sagte einer der Ratsherren. «Wir geben Euch drei Tage Zeit, diese Zeugen beizubringen, Madame Garsende. Bestätigt niemand Eure Aussage, dann müsst Ihr zu Eurem Ehemann zurückkehren.»
«Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden», sagte der Abbé mit einem finsteren Blick auf Juliana. «Ich warne dich. Euer Seigneur Bertrand de Got, der jetzt Clemens V. ist, und ich, wir haben euch bislanggeduldet. Wenn sich jedoch herausstellt, dass ihr für Unfrieden in der Stadt sorgt und brave Töchter und Ehefrauen von ihren Vätern und Männern fortlockt, dann werden wir euer Haus auflösen! Dies ist kein Kloster, es ist kein Arbeitshaus, es ist streng genommen gar nichts. Nehmt euch also in Acht!»
Die Herren standen auf und schickten sich an, den Konvent zu verlassen. Im Vorübergehen griff Maudru Garsendes Arm: «Garsende! Ich habe es nicht so gemeint. Wir haben uns doch noch nach jedem Streit wieder vertragen, und dann war es schön! Willst du nicht mitkommen?»
Seine Frau blieb sitzen und schaute ihn nicht an. Sie weinte. Danielle schob den Mann entschlossen weg von ihr: «Du lässt sie jetzt besser in Ruhe.»
Er warf ihr einen mordlustigen Blick zu.
Der Zunftmeister zuckte die Achseln und zog Maudru mit sich: «Reg dich nicht auf, Maudru. Du weißt ja: Der glückliche Mann verliert seine Frau, der unglückliche ein Pferd.»
Abbé Grégoire wandte sich auf der Schwelle zu Juliana um: «Ach – eh ich’s vergesse: Man hat mir berichtet, dass sich deine Schützlinge des Nachts auf den Straßen herumtreiben, ganz wie gewöhnliche Dirnen. Ist das wahr?»
Juliana erwiderte seinen Blick ruhig: «Zwei von ihnen haben sich unerlaubt hinausbegeben, um das Johannisfeuer anzusehen. Sie werden bestraft.»
«Wer bestimmt diese Strafe und wer wacht darüber?»
«Ich. Die Franziskaner, vertreten von Bruder Calixtus, der, wie Ihr wisst, als unser geistiger Beistand fungiert.»
«So? Dieser Calixtus! Es kommt vielleicht bald eine Zeit, da ihr euch nicht mehr hinter seiner geflickten braunen Kutte verstecken könnt.» Mit diesen Worten ging der Abbé hinaus. Juliana winkte Annik heran: «Annik, nimm eine Schwester mit und gehe Calixtus holen. Ich brauche ihn.» Und zu Magdalèneund Danielle: «Danielle, du bist noch nicht lange genug bei uns, und du bist dir über unsere prekäre Lage nicht im Klaren gewesen. Ich halte dich für klug genug, dass du auf den Ausflug sicher verzichtet hättest, wäre dir bewusst gewesen, wie sehr uns das gefährdet. Aber Magdalène! Du weißt es, und du hast mein Vertrauen missbraucht. Drei Tage Wasser und Brot für euch beide und vier Wochen keinen Ausgang, unter welchem Vorwand auch immer!» Und damit ließ sie die beiden stehen.
Magdalène biss sich auf die Lippen.
«Wasser und Brot, das macht mir nichts aus», sagte Danielle. «Das ist mehr, als ich lange Zeit gehabt habe. Aber sie schien so traurig, das tut mir weh.»
Sie wäre noch weitaus beunruhigter gewesen, hätte sie das Gespräch mit anhören können, das an diesem Abend im Scriptorium stattfand.
«Ich sehe nicht, wie Ihr
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