Die Ketzerbibel
erleuchtet. Aber diesen Unterschied wollen viele aus der Umgebung des Heiligen Vaters nun mal nicht sehen. Man möchte die religiöse Landschaft säubern von allem, was das einfache Volk in Zweifel stürzen, was die Kirche spalten und damit entmachten könnte. Und da fürchten sie besonders diejenigen, die sich ihrem Einfluss entziehen und sich eigene Regeln geben. So etwas könnte Schule machen! Sie fangen schon an, ein Verbot aller Beginenhäuser zu fordern.»
«Wir wollen keinen Unfrieden stiften», sagte Juliana begütigend. «Dennoch, guter Freund, muss ich dich um einen Gefallen bitten: Kannst du nach Zeugen für Garsendes Version der Geschehnisse suchen und sie bewegen, vor dem Magistrat auszusagen? Es müssen doch Dutzende von Leuten gehört haben, wie er sie verstoßen hat. Danielle und Magdalène allein wird man nicht glauben.»
Ein wenig widerwillig ging Bruder Calixtus am folgenden Tag umher und sprach mit allen, die in der Rue Fontaine lebten. Fünf Nachbarn bezeugten, was Danielle erzählt hatte. Der Magistrat bestätigte, wenn auch ungern, dass Garsende das Recht hatte, bei den Beginen zu bleiben. Über ihren persönlichen Besitz könne sie frei verfügen. Das bedeutete, dass sie die Einkünfte der Mühle zum Gemeinschaftsvermögen beisteuern würde, eine schöne Pfründe.
«Wir wollen die Probezeit abwarten und noch nicht daran rühren», wies Juliana Anne an. «Wenn sie es sich anders überlegt, kann sie ihr Vermögen wieder mitnehmen. Es bleibt ihres.» Dabei hätte die Gemeinschaft das zusätzliche Geld gut gebrauchen können.
Der Juni mit seinen Düften und seiner Blütenpracht war vorübergegangen. Der Juli hatte Einzug gehalten und damit dietrockene Jahreszeit. Die Wiesen verblichen zu Stroh, nur die Aleppopinien auf den Flanken des Luberon schimmerten in einem hell strahlenden Grün wie lebendige Edelsteine.
Laura, gefolgt von ihrem Schatten Catherine, erschien mit besorgtem Gesicht und verschwand im Scriptorium, wo sie sich lange mit Juliana und Anne beriet. Juliana ließ Magdalène und Danielle zu sich rufen.
Laura saß im einzigen Lehnstuhl. Sie hielt die Hände vor ihrem weit vorgewölbten Leib, als müsse sie ihn festhalten. Catherine hatte sich in eine Ecke des Zimmers zurückgezogen. Hätte sie sich nicht hin und wieder bewegt, um sich Luft zuzufächeln, hätte man sie für ein Möbelstück halten und übersehen können. Anne stand mit finsterem Blick am Pult, und Juliana ging im Zimmer auf und ab, die Hände hinter dem Rücken gefaltet.
Danielle klopfte an, öffnete die Tür und ließ Magdalène den Vortritt.
«Da seid ihr ja», sagte Juliana. «Seid ihr allein gekommen? Wo ist Garsende? Sie folgt Danielle doch sonst immer wie ein kleiner Hund.» Sie ging zum Fenster und schaute in den Hof.
«Schwestern, es gibt Schwierigkeiten. Mestra Laura berichtet mir, dass sich unter den Bettlern und Aussätzigen vor dem Stadttor ein paar Beginen aus dem Languedoc aufhalten. Wie es scheint, ist in Toulouse ein Haus geschlossen und die Schwestern teils vertrieben, teils als Ketzerinnen verurteilt worden. Einige von ihnen haben sich hierher geflüchtet.»
«Wie habt Ihr sie gefunden?», fragte Magdalène.
«Wir hatten gestern ein Gastmahl in unserem Hause», berichtete Laura. «Es ist viel übrig geblieben, und so wollten Catherine und ich die Reste heute Morgen unter den Armen vor dem Tor verteilen, nahe der Porte Murette; ihrwisst: dort, wo sie sich diese Bretterhütten an der Stadtmauer gebaut haben. Vor einer der Hütten habe ich eine Frau gesehen in einem Gewand, das dem euren ähnelt. Ich habe sie gefragt, ob sie eine Begine sei, und ihr gesagt, dass sich ein Konvent in der Stadt befindet. Sie hat mich gebeten, euch zu sagen, dass sie euch um einen Besuch bittet. Ihr sollt aber heimlich kommen, wenn es möglich ist. In die Stadt hätten sie sich nicht getraut.»
«Zweifellos will sie uns nicht gefährden. Wenn sie verurteilte Ketzerinnen sind, dann darf niemand ihnen helfen. Wer sie aufnimmt, dessen Haus kann niedergerissen und dessen Besitz eingezogen werden», sagte Anne bitter. «Sollen wir sie etwa ihrem Schicksal überlassen?»
«Wollt ihr sie aufnehmen und den Fortbestand dieses Hauses aufs Spiel setzen?», mischte sich Catherine ein.
«Nein, das geht natürlich nicht. Wir haben auch an die uns anvertrauten Schwestern zu denken, die sich in keinen Religionsstreit einmischen. Aber es gibt sicher noch andere Wege, diesen Unglücklichen zu helfen», antwortete Juliana
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