Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
auftreiben « , sagte Adelind und hielt ihm die Hand hin. Er riss nun ungläubig die Augen auf, ein sicheres Zeichen, dass er sie endlich wahrnahm. Als er den Mund öffnete, krümmte er sich sogleich hustend und spuckend, sodass Adelind weitere blutende Striemen auf Schultern und Rücken erkannte. Die mit goldbestickter Borte verzierte hellbraune Tunika, eines seiner liebsten Kleidungsstücke, war nun ebenso zerstört wie die Fiedel, überlegte sie und warf einen weiteren Hilfe suchenden Blick in die Menge.
» Antonius! « , brüllte sie aus Leibeskräften.
Diesmal wurden einige der Zuschauer zur Seite geschubst, und das schmale Jünglingsgesicht schob sich durch die drängelnden Gestalten. Mit drei Sätzen war Antonius an ihrer Seite. Gemeinsam schafften sie es, Peyres aufzuheben, und der Junge lotste sie in eine Seitengasse, wo sich ein Brunnen befand. Während er mit einem herumstehenden reichlich ramponierten Eimer Wasser nach oben hievte, begann Adelind, vorsichtig den Stoff des Kittels von Peyres’ Haut zu ziehen. Einen Teil davon wollte sie als Lappen verwenden, um das Blut fortzuwischen, und den Rest in Streifen reißen für Verbände. Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern, welche Anweisungen Ursanne ihr einst zum Mischen von Wundsalben gegeben hatte. Bienenwachs, Eigelb, Rosenöl und Speck, der hierzu ausnahmsweise verwendet werden durfte, doch hatte sie jetzt kaum die Möglichkeit, diese Zutaten auf die Schnelle zu beschaffen.
» Was machst du hier, Adelind? « , riss Peyres’ Stimme sie aus diesen Gedanken. Das freudige Funkeln in seinen Augen ließ ihre Kehle eng werden.
» Ich bin wegen Esclarmondes Consolament gekommen « , erwiderte sie knapp und vermied es, ihm ins Gesicht zu sehen. Zu ihrem Entsetzen sah sie ihre eigenen Hände zittern, als sie den zerfetzten Stoff von seiner Brust entfernte. Erinnerungen an eine Nacht am Waldrand, als sie seinen Körper zum letzten Mal berührt hatte, drängten in ihr Bewusstsein und behinderten ihre Aufmerksamkeit. Sie riss sich mit aller Kraft zusammen. Sie musste ihm nur helfen, nichts weiter. Ein Akt christlicher Nächstenliebe, den Rosa zwar nicht gutheißen würde, aber Ursanne vermutlich schon. Doch als Peyres für einen Augenblick ihr Handgelenk ergriff, vermochte sie es ihm nicht zu entziehen.
» Ich danke dir für deine Einmischung. Der Mistkerl hätte mich vermutlich umgebracht. «
Eine Welle der Wärme zog durch ihren Körper, dann fuhr sie entschlossen mit ihrer Aufgabe fort. Antonius hatte den Eimer nun neben ihr auf dem Boden abgestellt. Das meiste Wasser war bereits durch Löcher entwichen, aber sie vermochte ein Stück Stoff ganz einzutauchen und begann, Peyres sorgfältig zu säubern. Er fühlte sich magerer an als bei ihrer letzten Begegnung. Die Schlüsselbeine stachen deutlich hervor, und sie spürte jede einzelne Rippe, während ihre Hand über seinen Oberkörper glitt. Die Blutungen schienen langsam schwächer zu werden, und sie hoffte, sie mit Verbänden ganz stillen zu können, bevor sie zu Esclarmonde zurückging. Danach würde sie um eine Unterkunft für ihn bitten und regelmäßig nach ihm sehen, bis er wieder auf den Beinen stand.
Mit einer weiteren Bewegung wusch sie die letzten Spuren von Blut an seiner rechten Schulter weg. Dann sah sie das Mal, einen klaren tiefschwarzen Fleck auf der ansonsten makellos bronzefarbenen Haut, etwa in Größe eines Daumens. Sie erstarrte. Der Lappen entglitt ihrer Hand, denn auf einmal war es ihr unmöglich geworden, diesen Körper noch einmal zu berühren. Ohne auf Peyres’ fragende Miene zu achten, stand sie auf.
» Es ist wohl nicht so schlimm, wie es zunächst aussah « , meinte sie zu Antonius. » Verbinde ihn mit dem Stoff seines Kittels. Falls sich eine der Wunden entzünden sollte, dann findet ihr hier sicher einen Medicus. Nehmt keinen billigen, sondern einen, der sein Handwerk bei den Juden oder Muslimen gelernt hat. Selbst Ursanne, unsere heilkundige Perfacha, sagt, dass sie die Besten sind. «
Sie griff nach dem Beutel, der an ihrem Gürtel hing. Esclarmonde schickte ihr regelmäßig Geld für die Verwaltung der domus, und sie hatte noch gestern ganze dreißig sols toulzas von ihr erhalten. Rasch drückte sie Antonius diese Münzen in die Hand, denn sie wusste, dass Esclarmonde sie dafür nicht verurteilen würde.
» Hier, davon könnt ihr den Medicus bezahlen, frische Kleidung und auch eine neue Fiedel. «
Sie verdrängte Antonius’ fassungslosen, vorwurfsvollen Blick
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