Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
«
Schallendes Gelächter erklang. Der Prediger verstummte für einen Moment, doch schien er nicht verärgert, sondern betrachtete den Redner mit Neugier.
» Wenn du dich als Gockel so dämlich anstellst wie als Kesselflicker, dann wanderst du schneller in den Suppentopf, als du krähen kannst! « , brüllte eine breite Frau an seiner Seite. Der Mann begann zu fluchen, doch wurde er von begeistertem Grölen übertönt. Der Prediger klopfte dreimal mit dem Stab auf das Straßenpflaster.
» Lebt so viele Leben, wie nötig sind. Aber wartet auf den Moment, da ihr die Botschaft des Herrn begreift, damit eure Seele sich mit ihrer leuchtend himmlischen Hülle vereinen kann. Einst stürzten Engel aus Gottes Reich auf die Erde, da sie der Versuchung des Bösen nicht zu widerstehen vermochten, und wurden Satans Kreaturen. Vorher gab es keine Suppentöpfe, keine prügelnden Knechte und auch keine feinen Herren, die Abgaben eintreiben. In Gottes Reich werdet ihr eure himmlischen Lichtkörper wiederfinden, einen neuen Himmel und eine neue, von Gott geschaffene Welt. Dort seid ihr alle gleich und frei. «
» Heißt das, ich kann dort auch die Seele des Steuereintreibers treffen und ihr eine kräftige Ohrfeige verpassen als Strafe für ihr Benehmen auf der Erde? « , brüllte die vorlaute Frau erneut. Der Prediger klopfte energisch, aber ohne Empörung gegen das Gegröle der Menge an.
» Damit seine Seele in Gottes Reich eingehen kann, muss sie das Consolament empfangen. Dabei erfleht er Vergebung für seine vorherigen Sünden. Gott der Herr vergibt ihm, und wenn du die Botschaft Gottes begriffen hast, tust du es ebenso. «
» Also da wird Gott lange mit mir reden müssen « , kam es trotzig zurück. Der Prediger wartete geduldig, bis die begeisterten und teilweise auch empörten Stimmen verstummt waren, begann dann, von Vergebung und Demut zu reden. Adelind bemerkte mit Anerkennung, dass er seine Zuhörer weiterhin zu fesseln vermochte, dann fiel ihr ein, wie lange sie vermutlich schon hier draußen herumstand. Sie musste ins Haus zurück, sonst wäre die Entschuldigung mit dem Latrinenbesuch völlig unglaubwürdig. Rasch drehte sie sich um und tat die ersten Schritte auf das Eingangstor zu, da hörte sie die vertrauten Töne der Fiedel.
Es konnte irgendein Spielmann sein, sagte sie sich, auch wenn sie die flotte Melodie zum ersten Mal in ihrem Leben in einem kleinen Dorf in der Nähe Kölns vernommen hatte, als Peyres mit Marcia aufgetreten war. Diesmal fehlte die weibliche Gesangsstimme, aber den Wechsel zwischen einem rasch, fast abgehackt gespielten, rhythmischen Refrain, auf den ein wehmütiger, melodischerer Teil folgte, erkannte sie sogleich wieder. Ein Liebeslied, das wusste sie noch, auch wenn ihr die Worte entfallen waren. Die ewige Klage unerfüllter Sehnsucht. Sie wollte bitter auflachen und vor einer plötzlichen Flut an Erinnerungen fliehen, doch lockten die Töne sie wie der Gesang einer Sirene. Sie würde nur einen kurzen Blick auf Peyres werfen, beschloss sie, und dann sogleich im Haus verschwinden, bevor er sie gesehen hatte. Eine Weile musste sie schubsen, denn die Menschenmenge war eine lebendige Mauer, die manchmal nachgab, sich dann aber wieder hartnäckig vor ihr verschloss. Schließlich spähte Adelind zwischen den breiten Rücken zweier Knechte und erblickte das vertraute dunkle Gesicht. Es schien eingefallen. Ein pechschwarzer Bart spross auf Kinn und Wangen, was sie verstörte, denn Peyres hatte stets großen Wert auf sein makelloses Äußeres gelegt. Nun machte er einen leicht verwahrlosten Eindruck, ebenso wie es ihr an Antonius aufgefallen war. Beiden fehlte offenbar der frühere Erfolg. Lag es an Marcias Fortgehen? Sie war nicht willens, sich selbst oder gar Hildegard die Schuld zu geben, denn sie waren doch nur aus einer Notlage heraus zu der Truppe gestoßen. Vielleicht war es das Gesetz dieser Welt, dass Spielleuten nur ein paar Jahre des Erfolgs vergönnt wurden, bis sie gewöhnlichen Landstreichern und Bettlern zu gleichen begannen. Die Welt war des Teufels, erinnerte sie sich, und wer in ihr nach Glück strebte, musste irgendwann enttäuscht werden.
Sie wollte sich gerade abwenden, als plötzlich Bewegung in die Menge kam, das Schubsen, Schieben und Schimpfen sich steigerte, bis Adelind ins Straucheln geriet. Sie musste sich kurz an einem der Knechte festhalten, um nicht zu fallen. Berittene Herren waren erschienen und wirkten wenig begeistert von dem Umstand, dass unbedeutendes
Weitere Kostenlose Bücher