Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Fleisch von Geschöpfen zu essen, denen eine Seele innewohnte, so nimm all das Geld, das dein Vater dir gab, und schenke es einem der Bettler « , mahnte Ursanne nun. » Dann befreist du dich selbst von der Versuchung und tust Gottes Werk. «
Cadichona biss sich auf die Lippen, widersprach aber nicht, obwohl diese Weisung sie keineswegs erfreute. Adelind stellte fest, dass Ursanne bewusst auf die Aufforderung verzichtet hatte, Cadichona solle ihr Geld der Gemeinschaftskasse der domus übergeben, obwohl dies den Vorschriften entsprach. Es sollte wohl nicht der Eindruck entstehen, Katharer wollten die Töchter reicher Bauern um ihren ganzen Privatbesitz bringen. Zudem wäre eine solche Aufforderung gleichzeitig eine Zurechtweisung gewesen, die Ursanne dem Mädchen nun ersparen wollte.
» Nun, hat noch eine von euch etwas zu erzählen? « , fragte die alte Perfacha an die anderen Frauen gewandt. Olivette regte sich und hob zaghaft die Hand.
» Ich war selbstsüchtig « , flüsterte sie. » Ich betete die ganze Woche zu Gott dem Herrn, dass meine Mutter mich besuchen kommt. Doch dabei vergaß ich, wie viele Aufgaben sie im Namen unserer Kirche zu erfüllen hat. «
Rosa verzog das Gesicht, weil jemand wegen solcher Nichtigkeiten Aufmerksamkeit beanspruchte. Cadichona grinste, da sie ihre eigene Sünde wohl für aufregender hielt. Ursanne sagte zunächst einmal nichts.
» Wir könnten die Gräfin zu uns einladen und ihr zeigen, welche Fortschritte das Spital macht « , schlug Adelind daher vor. Es mochte der Umstand sein, dass sie selbst niemals eine Mutter besessen hatte, der sie Olivettes Sehnsucht verstehen ließ. Manchmal schien es ihr, das Mädchen habe sich nur zu den Perfachas begeben, um Esclarmondes Achtung zu gewinnen.
» Nun gut, dem stimme ich zu « , erwiderte Ursanne, bevor jemand etwas anderes einwerfen konnte, und damit war die Angelegenheit abgeschlossen. Olivette strahlte, während ein paar der anderen Frauen noch von heimlichen Sehnsüchten nach verbotener Nahrung oder gar männlicher Nähe berichteten. Die auferlegte Buße bestand meist aus Gebeten und fiel milde aus, da selten schwere Vergehen erwähnt wurden. Schließlich erklärte Ursanne das Apparelhament, die regelmäßige gemeinsame Beichte, für beendet. Sie hielten sich alle an den Händen, um gemeinsam Worte der Absolution zu sprechen, dann verneigten die Frauen sich mehrfach vor Ursanne und verteilten sich auf die einzelnen Räume, wo sie ihren Arbeiten nachgingen. Adelind wollte Kreide und Schiefertafeln holen, da sie mit der Aufgabe betraut worden war, die jungen Mädchen der domus im Lesen und Schreiben zu unterweisen, doch hielt Ursanne sie mit einem vertrauten Wink ihrer Hand zurück. Adelind wartete daher, bis der Gemeinschaftsraum sich geleert hatte.
» Mir scheint, du bist nun bereit, das Licht des Heiligen Geistes zu empfangen « , sprach die alte Blinde mit starr geradeaus gerichtetem Blick. Adelinds Herzschlag setzte für einen Augenblick aus. Fast vier Jahre waren vergangen, seit sie in diese domus gezogen war, und all die Zeit hatte sie geduldig gewartet. Nun vermochte sie kaum noch Freude zu empfinden, nur Erleichterung, sich nicht mehr fragen zu müssen, aus welchem Grunde sie stets für mangelhaft befunden worden war.
» Hildegard hätte ich schon lange zugelassen, wie du weißt. Aber sie wollte auf dich warten. «
Adelind nickte. Sie war froh, kein Hindernis mehr für ihre Schwester darzustellen. Tief in ihrem Inneren war sie sich nicht sicher, ob sie sich nicht vor allem deshalb freute. An ihrem Leben in der domus würde sich kaum etwas ändern. Sie mochte ihre Aufgaben, aber die könnte sie weiter verrichten, auch ohne eine Perfacha zu sein.
» Darf ich erfahren, warum du mich so lange hast warten lassen und was dich jetzt zu diesem Entschluss veranlasst hat? « , fragte sie. Anders als im Kloster hatte sie von Ursanne keine Rügen für allzu vorlaute Wissbegier zu befürchten, obwohl die alte Frau am Ende stets ihre eigenen Entscheidungen traf. Nun wurde sie mit einer weiteren Handbewegung aufgefordert, sich wieder an den Tisch zu setzen.
» Ich halte viel von dir, Adelind. Du bist klug und mutig, wie auch unsere Gräfin erkannte. Doch dein Herz war niemals wirklich bei uns, unerfüllte Sehnsüchte hielten es gefangen. Erst mit den Jahren bist du zur Ruhe gekommen und hast in deinen Aufgaben Erfüllung gefunden. Ich weiß nicht, wie lange es noch dauert, bis Gott der Herr mich zu sich ruft. Du sollst meine
Weitere Kostenlose Bücher