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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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nachdenken. Er aß seine Semmeln und freute sich, daß er wenigstens etwas zu kauen hatte.
     
    Hier muß ich die Geschichte einmal kurz unterbrechen. Denn es gibt hier vieles zu bedenken. ›Wegen so ein paar Semmeln!‹ dachte Paul. »Wegen so ein paar Semmeln!« sagen vielleicht auch viele von euch. Aber es ist doch eine sehr gefährliche Geschichte. Wir können sie drehen und wenden, wie wir wollen — Paul war ein Spitzbub geworden. Viele Leute sagen auch nur kurzweg »ein Dieb«. Und ein Dieb ist ein schlechter Mensch. Ein Dieb gehört ins Gefängnis. Ein Dieb muß bestraft werden. So ist es festgelegt worden. Denn wo kämen wir auf unserer Welt hin, wenn solche Dinge erlaubt würden? Also, das ist soweit alles in Ordnung.
     
    In den großen Gerichten, wenn die erwachsenen Leute sich mit diesen Fragen beschäftigen, da gibt es »mildernde Umstände«. Wißt ihr, was mildernde Umstände sind? Bei Paulchen sagen wir in diesem Fall kurzweg: der Hunger. Darum bitte ich euch, denkt nur nicht gleich, von jetzt an ist der Paul aus der Geschichte ein schlechtes Kind. Das war er ganz gewiß nicht.
     
    Ich glaube, ihr könnt euch alle selbst an die Nase greifen, wenn ihr ein wenig nachdenkt. Denn wer von euch hat noch nie etwas Unrechtes an sieh genommen — irgendein Stück Schokolade oder ein Stück Kuchen, das er nicht nehmen sollte und trotzdem heimlich und unerlaubt aufschleckte? Ihr nennt das »naschen«, aber es ist fast das gleiche. Bei Paulchen haben wir noch dazu die mildernden Umstände des Hungers festgestellt. Er hatte doch schon selbst gemerkt — der Hunger machte ihn schwach, der Hunger hatte ihn behext. Ihr aber hattet vielleicht keinen Hunger.
     
    Viel schlimmer wurde etwas anderes. Er hatte es nur ein einziges Mal tun wollen, aber nun mußte er es immer wieder tun, es wurde ihm zur Gewohnheit. Er nahm einmal diese Semmeln, ein andermal jene. Er steckte sich die Milchflaschen ein. Er schlüpfte sogar ins Vorderhaus, lief in die verschiedenen Seitenaufgänge und stahl sich sogar einen Semmelbeutel von fremden Türen. Und beim dritten- und viertenmal fand er es schon gar nicht mehr schlimm. Er gewöhnte sich daran. Wenn er am Morgen keine Brötchen erwischen konnte, weil irgendein Mitbewohner die Treppe heraufkam, so schlich er am Nachmittag, wenn der Lehrling Gustav vom Bäcker Hennig die Nachmittagslieferungen zurechtmachte und seinen Korb im Vorflur niederstellte, so lange um den Korb herum, bis der Augenblick gekommen war und Gustav sich umwandte oder nochmals in den Laden zurückgerufen wurde. Dann riß er schnell ein Paket heraus und freute sich, wenn er eine Tüte erwischte, in der Hörnchen oder Salzstangen waren. Er dachte gar nicht daran, wie schlimm diese Geschichte für den armen Gustav ausgehen könnte.
     
    Gustav fuhr ahnungslos mit seinem Korb zur Kundschaft. Er gab überall die bestellten Tüten ab. Plötzlich fehlte eine. Er konnte die Tüte für Frau Inspektor Meißel nicht finden. Er suchte und suchte und drehte alle Tüten um. Jetzt dachte Gustav: ›Bin ich verhext? Ich hatte doch selber die Tüte für Frau Inspektor Meißel zurechtgemacht und in den Korb gelegt. Ich kann sie nicht verloren haben. Das hätte ich gemerkt. ‹ Doch die Tüte war und blieb verschwunden, und Gustav mußte nach Hause gehen, ohne sie abgeliefert zu haben. Zunächst dachte er: ›Einmal macht ja nichts. ‹ Aber einmal macht schon viel. Denn eine Stunde später klingelte im Bäckerladen das Telephon.
     
    »Hallo — Bäcker Hennig.«
     
    »Hier ist Frau Inspektor Meißel!«
     
    »Ja, bitte.«
     
    »Herr Hennig, wo bleiben meine Semmeln?«
     
    »Ihre Semmeln? Die sind doch schon längst hingebracht worden!«
     
    »Nein, sie wurden nicht gebracht.«
     
    »Das begreife ich gar nicht.«
     
    »Es ist aber so. Schicken Sie sofort neue. Wir sitzen beim Kaffee und warten.«
     
    »Ich werde neue schicken und auch sofort mit meinem Jungen sprechen.«
     
    »Mit dem Jungen sprechen« hieß: Gustav gehörig ausschimpfen.
     
    »Warum und weshalb! Wo hast du die Ware Meißel? Du hast sie verbummelt, du hast sie aufgegessen!«
     
    Der unschuldige Gustav mußte büßen, was Paulchen Unrechtes getan hatte, obwohl Gustav immer wieder versicherte: »Ich weiß doch selber nicht, wo die Brötchen blieben« und: »Ich habe sie ganz bestimmt nicht verbummelt, die muß einer geklaut haben.« Der Bäcker Hennig erklärte: »Ich ziehe dir die Semmeln vom Lohn ab, damit du achtgeben lernst.« Denn er war sehr genau und

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