Die Kinder aus Nr. 67
ausgelöscht.
Es goß schon in Strömen. Es platschte lärmend auf das Hofpflaster. Wie ein Bach stürzte das Wasser bald darauf aus der Dachrinne und weichte die letzten Reste von buntem Papier, angekohlten Streichholzschachteln, welken Blättern und Orangenschalen auf.
Am nächsten Tag kehrte der Portier alles zusammen und schüttete es in den Abfalleimer.
Nachwort
Lisa Tetzner emigrierte 1933 und lebte bis zu ihrem Tode in der Schweiz. Während des Krieges und in den ersten Jahren nach 1945 schrieb sie neun Bände ihrer Jugendodyssee ›Die Kinder aus Nummer 67. In ihr erzählt sie, was zwei Jungen und ein Mädchen aus einem Berliner Mietshaus von 1931/32 bis 1947/48 erlebten. Paul blieb daheim, weil seine Eltern das Hitlerregime bejahten. Er wurde Soldat in der deutschen Wehrmacht. Am Ende des Krieges setzte er sich mit einem jungen Russen aus dem zerbombten Berlin in die Schweiz ab. Erwin kam mit seinem Vater, der aus einem Konzentrationslager geflohen war, über Paris nach Schweden und Lappland. Er schloß sich der englischen Invasionsarmee an und kämpfte gegen Deutschland. Die Halbjüdin Mirjam verschlug es auf abenteuerlichen Wegen bis nach Nordamerika. Mit gleichgesinnten Freunden, die sie in vielen Ländern gefunden hatten, schlossen sie nach dem Krieg in Genf den »Neuen Bund«, in dem sie für Frieden und Freundschaft unter allen Völkern und Rassen eintraten.
An den Erlebnissen der jungen Menschen führt Lisa Tetzner den Lesern anschaulich vor Augen, wie es Gleichaltrigen vor und während der Hitlerzeit erging. Weil ihre Familien politisch oder rassisch verfolgt wurden, verloren sie Heimat und Vaterland, ihre Eltern und Verwandten, erlitten unsägliche innere und äußere Not und gerieten in tödliche Gefahren. Trotz ihrer Jugend mußten sie für sich selbst sorgen, oft halfen ihnen mitleidige Menschen.
Die Handlung und die Personen hat Lisa Tetzner zum größten Teil erdacht, sie verwendet aber auch die Erlebnisse Berliner Kinder und eine Zeitungsnotiz. Sie erzählt realitätsnah und führt fremde Begriffe geschickt ein, indem sie sie mit anschaulichen Inhalten füllt. Hinter allen Ereignissen steht das Zeitgeschehen. Lisa Tetzner weist oft auf die politischen Zusammenhänge hin, deutet und erklärt sie auch in so einfacher Form, daß die lesenden Kinder sie verstehen.
Die einzelnen Fäden der vielstrangigen Handlung füllen jeweils einen Band, so bleibt jeder für sich verständlich. Die Autorin behält jedoch das Gesamtgeschehen stets im Auge. Sie führt die einzelnen Stränge - und damit auch die Personen - zum Schluß wieder zusammen. Die Jugendodyssee besitzt deshalb trotz ihrer Länge einen klaren Aufbau.
Da Lisa Tetzner bewußt für junge Menschen schreibt, gestaltet sie alle Erlebnisse der Kinder und Jugendlichen spannend. Die Ereignisse folgen rasch aufeinander, die Handelnden stoßen immer wieder auf Hindernisse, die sie überwinden müssen. Überraschende Wendungen führen zu weiteren Verwicklungen oder Lösungen. Außerdem gewinnt die Autorin dem ernsten, ja tragischen Stoff komische Seiten ab, die eine entlastende Funktion besitzen.
Die vielen Gestalten zeichnet sie mit ihren Vorzügen und Schwächen. Der Leser bewundert den Optimismus der Kinder und Jugendlichen, ihren Lebensmut, ihre Aktivität, ihre Fähigkeit, solidarisch zu handeln und Freundschaften zu schließen wie zu halten. Aber sie verhalten sich auch egoistisch, sind rechthaberisch und streiten. Sie schaden sich gegenseitig, laden Schuld auf sich, stehlen und quälen den Schwächeren. Mirjam, Hans Suter wie die Hilfsbereitschaft der Schweizer sind jedoch überzeichnet. Lisa Tetzner beurteilt alle Handlungen mit den Maßstäben des humanistisch-christlichen Abendlandes. Sie spricht klar aus, was sie für gut und böse hält. Dabei zeigt sie viel Verständnis für alle schuldig Gewordenen, selbst für Nazis. Das Abwägen der Gründe, die sie veranlaßten, Hitlers Politik zuzustimmen, erleichtert deutschen Kindern, das Verhalten der älteren Generation zu begreifen.
Die neun Bände der Kinderodyssee erschienen 1944-49 in der Schweiz im Verlag Sauerländer, Band 3-6 um 1949 als Sonderausgabe im Stuffer Verlag, Baden-Baden. Das Werk wurde ganz oder teilweise in zwölf Sprachen übersetzt und im Ausland eifrig gelesen. In Deutschland fand es wenig Zustimmung, weil die Mehrzahl der Erwachsenen damals nicht bereit war, mit Kindern und Jugendlichen der Wahrheit gemäß über die jüngste
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