Die Kinder der Elefantenhüter
ein Paar Laufschuhe aus der Tasche und zieht sie an, dann einen Pulli, den sie über das grüne Kleid streift, und sie bindet sich ein Tuch ums Haar, so kann sie ihren Sternenglanz ein wenig verhüllen, aber nur ein bisschen, weil er so überwältigend ist, und nach wie vor sage ich, ganz ehrlich und unter uns, wenn ich Conny nicht ewige Treue geschworen hätte und der Meinung wäre, mehr als zwei Jahre Altersunterschied zwischen Liebesleuten grenze an Kindesmissbrauch, schwebte ich in äußerster Gefahr, mich in flammender Liebe zu ihr zu verzehren. Und ich weiß, dass es Tilte und Basker genauso geht.
Sehen wir uns also Hans an.
Was nützt es schon, wenn ich sage, Hans sei von einer Frau im Herzen getroffen, weil er ja ständig und jede Minute nicht nur getroffen ist, sondern geradezu torpediert wird durch die Tatsache, dass es Frauen überhaupt gibt. Trotzdem, obwohl er vor einem Mädchen schon mehr als einmal den Affen gemacht hat, das hier schlägt alle Rekorde. Dieser erste nackte Eindruck, über den Tilte und ich unsere Theorie aufgestellt haben, du erinnerst dich, hat ihn total benebelt und in einen Teddybären verwandelt, der mit seinen wasserblauen Kulleraugen hilflos die kaffeebraune Schönheit anstarrt.
Also muss Tilte die Initiative ergreifen.
»Wie heißt du?«, fragt sie das Mädchen.
»Aschanti.«
Dann fügt sie hinzu:
»Ihr wart wunderbar.«
»Wissen wir«, sagt Tilte. »Und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten.Entweder du bewahrst das Wunderbare wie eine Perle der Erinnerung in deinem Herzen, die du dann bis zur Bahre mit dir herumtragen kannst.«
Ich weiß nicht, wieso Tilte ständig diese Sache mit dem Tod auftischen muss, aber so ist sie nun mal.
»Und die zweite Möglichkeit?«, fragt das Mädchen.
»Du kriegst Hans’ Handynummer. Denn mit solchen Verehrern wie den beiden eben könntest du bald wieder Hilfe brauchen.«
Das Mädchen, das Aschanti heißt, guckt Tilte an.
»Das sind Leibwächter«, sagt sie.
Sie kramt ihr Mobiltelefon heraus.
»Die sehen eher aus wie Gefangenenaufseher«, sagt Tilte.
»Das ist ja das Problem«, sagt Aschanti. »Wenn es schwer wird, den Unterschied zu erkennen.«
Irgendwo in ihrem perfekten Dänisch hört man einen fremden Dialekt, so als wäre man im Hochwald von Finø auf eine Kokospalme gestoßen.
Sie bekommt Hans’ Nummer und speichert sie ab. Als sie sich aufrichtet, glauben wir alle, dass sie jetzt vom Wagen springen will. Aber dann gibt sie Basker einen Kuss und mir einen und Tilte einen, und abschließend drückt sie Hans einen Kuss auf die entgeisterten Züge, und dieser Kuss dauert eine Ahnung länger. Dann springt sie hinunter und entschwebt.
Es gibt Menschen, die nehmen ein wenig Tageslicht mit, wenn sie gehen. Als Aschanti weg ist, ist es gleichsam dunkler geworden, und die Wirklichkeit kehrt zurück, mit Bodil Nilpferds Anruf und der Gewissheit, dass Vater und Mutter verschwunden sind.
Wir halten im Hof von Hans’ Studentenwohnheim, das auf den Fælledpark zeigt. Auf der Straße sind Sonnenschein und Verkehr und läutende Kirchenglocken und Menschen, die am Kiosk Milch und Zeitungen kaufen, jede Menge Leben sozusagen. Aber um uns herum sieht es sehr schwarz aus.
»Gleich werden sie uns holen«, sagt Tilte.
»Niemand wird euch holen«, sagt Hans.
Vielleicht haben alle Menschen verschiedene Seelen in sich, auf jeden Fall steckt in meinem großen Bruder ein Beschützer. Er zeigt sich nicht sehr oft, aber wenn, dann schlagen die Messinstrumente aus und die Dinge stürzen um. Das feinste Restaurant in Finø-Stadt liegt am Hafen und heißt Svumpukkel , und mehrmals schon ist Hans da vorbeigekommen und hat ein paar Mädchen umkreist, die ihn ausführten, und dann kamen aus dem Svumpukkel drei, vier junge Männer, die meinten, der perfekte Abschluss eines idyllischen Ferienaufenthalts in naturschöner und historischer Umgebung sowie eines guten Mittagsmenüs mit fünf Gängen und passendem Wein wäre, ein paar Eingeborene zu massakrieren, und sie fanden, Hans und seine Mädels hätten sich selbst auf dem Silbertablett serviert. Aber kaum gingen sie zum Angriff über, passierte irgendetwas mit meinem großen Bruder. Der verlegene, aber herzensgute Jüngling, den wir alle kennen und mögen, verschwand, und an seiner statt erscheint eine Naturkatastrophe, plötzlichschwimmen zwei der jungen Männer in ihrem Blute, der dritte hängt zwischen den Fahrrädern und der vierte versucht, in einer Staubwolke zu fliehen.
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