Die Kinder der Elefantenhüter
erstes Gefühl, das gleichsam nackt ist.
Wenn ich nach diesem Gefühl gehe, bin ich froh, dass keiner von beiden, soweit ich es erkennen kann, Connys Vater ist, denn sie sind nun nicht gerade das, was man den Traum eines Schwiegersohns nennt. Trotz Kurzhaarfrisur und glatt rasierten Wangen, BMW mit CD-Kennzeichen und herausragenden Leistungen auf der kurzen Distanz scheinen sie kaum Interesse an vernünftigen Unterhaltungen oder einer Runde Mensch-ärgere-dich-nicht zu haben. Sie sehen eher aus wie Leute, die ihren Willen durchsetzen wollen und denen es nicht das Geringste ausmacht, wenn hinterher drei, vier Kinderleichen und ein toter Hund herumliegen.
In dieser finstren Situation sagt Tilte:
»Wir halten hier an!«
Hans macht ein Geräusch, und die Pferde stoppen, als wären sie gegen eine Betonwand gerannt.
Wir halten vor einem kleinen Park mit Tischen und Bänken in der Sonne. Die Bänke sind von den unterschiedlichsten Menschen bevölkert. Mütter mit Kindern, Jugendliche in unserm Alter, die Basketball spielen, Rentner, anderewiederum, auch in unserm Alter, sind kahlgeschoren und haben ihre Unterlippe mit Sicherheitsnadeln durchbohrt und denken über ihre Zukunft nach, vielleicht sollte man sich auf der Polizeischule bewerben. Und dann gibt es noch einen Haufen braungebrannter und tätowierter Wesen beiderlei Geschlechts, die den entscheidenden Punkt ihrer Karriereplanung erreicht haben, wo man sich entschließen muss, ob man sich die nächste Rakete sofort drehen soll oder ob man noch ein Viertelstündchen wartet.
Tilte hat sich auf den Bock gestellt. Sie wartet einen Augenblick, bis sie sich der Aufmerksamkeit des Parks sicher ist. Dann zeigt sie auf die beiden Männer.
»Das ist ein Ehrenmord«, brüllt sie.
Tilte ist kaum größer als ich und dünn. Aber ihre Haare! Lockig und rot, rot wie unsere dänischen Briefkästen, außerdem hat sie sich Extensions machen lassen. Wenn man zu den Haaren jetzt noch ihre feldherrnhafte Ausstrahlung hinzurechnet, hat man so ungefähr eine Erklärung für die folgenden Ereignisse.
Wieder fängt die Wirklichkeit an, sich zu verändern. Plötzlich wird für alle klar erkennbar, dass wir in einer Hochzeitskutsche sitzen, dass Hans und die Milchkaffeebraune frisch verheiratet sind und Tilte die Brautjungfer und ich der Brautknabe und Basker der Hochzeitshund. Und es ist ebenso unverkennbar, dass die beiden rasch sich nähernden Männer potenzielle Mörder sind, die einer jungen Liebe den Vollzug verwehren wollen.
Eine Konstellation, die Nørrebros Vergangenheit als Arbeiterbezirk wiederbelebt. In der Schule haben wir das nur gestreift, an einem Tag, an dem meine intellektuelle Formkurve nicht ihren höchsten Stand erreicht hatte, dasheißt, ich kenne mich da eigentlich nicht so aus, und wie viele von diesen Sonnenanbetern im Park wirklich Industriearbeiter genannt werden können, ist schwer zu sagen. Aber der BMW und die schicken Anzüge verleihen den beiden Männern einen leicht kapitalistischen Anstrich, was sich in Nørrebro schnell als gesundheitsschädigend erweisen kann. Hinzu kommt Tiltes Charisma, alle im Park erkennen, dass hier eine Königin die Wachen alarmiert, und die tiefe Liebe der dänischen Bevölkerung zu ihrem Königshaus ist ja weltbekannt.
Was passiert also? Es bildet sich eine lebende Barrikade quer über die Straße, aus Müttern mit Kinderwagen, aus Hiphoppern, aus Männern und Frauen, um die man nicht herumkommt. Ihre uns zugewandten Rücken verströmen Wärme und Schutz, und ihre den Verfolgern zugewandte Front vermittelt, dass man, wenn die beiden nur noch einen Schritt machen, etwas möglicherweise Historisches erlebt, nämlich die Wiedereinführung der Todesstrafe in Nørrebro.
Tilte setzt sich wieder hin, Hans lässt die Zügel schnalzen, und die vier Rappen hüpfen wie Kängurus. Weit hinter uns haben unsere Verfolger noch immer ein rasendes Tempo drauf, aber jetzt in die andere Richtung, sie flüchten vor dem Hinrichtungs-Peloton und wollen zu den Resten ihres BMW.
Wir kreuzen einen breiten Damm und fahren auf sonnigen Straßen weiter und haben die Eltern einen Augenblick lang vergessen, so mitgenommen sind wir noch vom eben Erlebten und so effektvoll waren Tiltes Worte. Wir freuen uns einfach für Hans und seine Wunderschöne, und Autos hupen, um Glück zu wünschen, und wir winken zurück.
Schließlich haben wir einen großen Platz überquert und fahren eine Allee hinauf, da sagt die Sängerin:
»Ich steige hier aus.«
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