Die Kinder der Elefantenhüter
kommt nun zum Vorschein. Aber Tilte schüttelt den Kopf.
»Wir brauchen dich draußen«, sagt sie.
Jetzt kommt eine Pause, in der Pause ist es still. Wir wissen alle vier, dass wir uns jetzt trennen müssen, nun fängt die Mühsal an, wir sagen nichts, und in der Stille spüre ich etwas von Tilte und Hans.
Eltern sind natürlich in Ordnung, auch unsere. Wenn aber Erwachsene ein Examen ablegen müssten, um Kinder kriegen zu dürfen, wie viele würden es bestehen, ganz ehrlich? Und wenn sie es bestünden, dann wahrscheinlich gerade so mit Ach und Krach. Und unsere Eltern? Auch wenn Tilte meint, dass in meiner Kindheit nichts Gravierendes passiert ist, was nicht mit zwei Jahren Jugendknast und fünf Jahren Therapie wieder einzurenken wäre, dann möchte ich dazu doch bemerken: Falls man unsern Vater und unsre Mutter nicht hätte durchfallen lassen, dann lediglich aus Mitleid.
Doch mit den Geschwistern verhält es sich manchmal anders, schwer zu erklären, aber da auf der Droschke spüre ich etwas. Und natürlich schaut Tilte mich im selben Augenblick an.
Mit dem Wort Liebe sollte man vorsichtig sein. Es macht einen schnell pomadig und verwässert den zwirbelnden Innenrist. Aber hier muss ich es benutzen, es ist das Einzige, das passt. Wenn dies der Fall ist, geht die Tür leise auf, und die Chance ist da, einen Schimmer der Freiheit zu erahnen.
Damit du verstehst, was ich meine, möchte ich kurz einschieben,wie wir entdeckt haben, dass die Liebe und die Tür etwas miteinander zu tun haben. Also eigentlich hat Tilte es entdeckt, in der Küche des Pfarrhauses.
Ich weiß nicht, wie es in deiner Familie ist. Aber bei uns muss man immer früh raus, dann sind so viele Stullen zu schmieren und so viele Schulstunden und Hausaufgaben zu machen und so viel Fußball hinterher, und so viele Leute besuchen den Pfarrhof, auch weil meine Mutter und mein Vater alle drei Kirchen auf Finø abwechselnd betreuen, da ist also so viel los, dass man im Alltag das Gefühl hat, der Orkan Lulu tobe über dem Kattegat und habe sich im Pfarrhof häuslich niedergelassen.
Aber zuweilen kommt es vor, dass der Wind abflaut, in der Regel freitags oder sonnabends, die See wird plötzlich ruhig, und einen kurzen Augenblick lang wird uns dann bewusst, dass die Familie nicht nur so ein Gerücht ist, normalerweise passiert das in der Küche, und in einem solchen Augenblick haben wir es entdeckt.
Mein Vater war dabei zu kochen. Angeblich entspannt es ihn, obwohl es dann immer aussieht wie in der Fleischwarenfabrik, und zwar zu Stoßzeiten. Er sagt – und glaubt selber daran –, er mache das Essen, das er in seiner Kindheit in Nordhavn im nördlichen Teil unserer Insel bekommen habe; von Nordhavn spricht er immer in den höchsten Tönen, als wäre es sonnendurchflutet und tränenselig und wonnetrunken gewesen, obwohl wir Kinder seine Mutter, unsere Großmutter, noch besucht haben, bevor sie starb, wahrscheinlich an verschluckter Galle, weshalb wir die Möglichkeit, sie sei irgendwann imstande gewesen zu kochen, mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen können.
Trotzdem zaubert mein Vater mit seinem Presskopfapparatund seinen Wursttrichtern und mittelalterlichen Rezepten aus Das alte Finø Gerichte zusammen, die manche Menschen schätzen, und gerade jetzt macht er Entenrillettes und Schweinsfußsülze, die er genauso fest hinkriegt wie einen Lecablock.
Meine Mutter sitzt mit Elektrozangen, Lötkolben, Uhrmacherlupe, Computer, Mikrophonen und einem Oszillographen am Tisch und bastelt an einem Öffnungsmechanismus für den Vorratskeller, der per Stimmerkennung ausgelöst werden soll. Links von ihr, auf der Schlafbank, sitzt Hans mit einem Himmelsatlas. Daneben sitzt Tilte und überblickt die Szenerie. Unterm Tisch liegt Basker und ächzt wie ein Asthmatiker, dabei hat er eine Sauerstoffaufnahme wie ein Windhund, aber er hört sich halt gerne beim Atmen zu.
Und ich sitze im Sessel. Wenn du mich als kleinen, zarten und geringfügig schwächlichen Knaben vor dir siehst, der ausschließlich damit beschäftigt ist, seinen Beitrag zur guten Stimmung zu leisten, bist du auf der richtigen Spur.
Alles in allem also ein Moment, in dem man zu glauben wagt, man habe eine Familie.
Nun tritt etwas ein, das an sich zunächst ganz vertrauenerweckend aussieht.
Mutter programmiert den Computer so, dass er ihre und unsere Stimmen erkennt, und summt dafür die ersten Strophen von »Am Montag im Regen am Solitudevej«.
Das Lied ist einer ihrer absoluten
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