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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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christlichen Oberfläche schwelten und auf kleine Kinder mit zu üppigen Namen schnell eifersüchtig würden, ob sie sich also nicht mit Clara Duplaisir Finø begnügen könne. Darauf einigte man sich.
    Ich habe ja mehrfach deine Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt, dass dramatische Ereignisse immer geballt kommen, so auch an diesem Abend, denn als Tilte und Aschanti wieder an ihrem Platz waren, räusperte Urgroßmuttersich und sagte, sie wolle gern etwas sagen, sie wolle uns nämlich erzählen, dass sie sich entschlossen habe, wie sie sterben wolle.
    Wir wurden unruhig. Denn bei ihren letzten Besuchen hat Urgroßmutter mich die Buttermilchsuppe rühren lassen, während sie selbst die Schlacht vom Rollstuhl aus führte, als sie das also ankündigte, fürchteten wir alle das Schlimmste.
    »Ich habe mich entschlossen, mit einem schallenden Gelächter der herzlichsten Art zu sterben«, sagte sie. »Ich fand immer, das sei die schönste Art fortzugehen. Und warum erzähle ich euch das? Weil ich nicht damit rechne, dass es einer von euch erleben wird. Und warum nicht? Weil ich damit rechne, dass ich euch alle überlebe, und zwar inklusive Klein Flyvia Propella. Und warum rechne ich damit? Weil ich mir einen jungen und geschmeidigen Liebhaber genommen habe. Und ich möchte gern die Gelegenheit nutzen, ihn der Familie vorzustellen.«
    Dann geht die Tür auf, und hinein kommt Rickardt Tre Løver samt seiner Erzlaute, und er tritt auf Urgroßmutter zu und setzt sich auf ihren Schoß.
    Das haben wir nicht kommen sehen, keiner von uns, auch Tilte nicht. Und ich muss sagen, ganz ehrlich, dass ein Weilchen vergeht, ehe wir die Fassung und unsere natürliche Höflichkeit wiedergewonnen haben und die Fragen, die sich in einem solchen Moment wie von selbst melden, unter den Tisch fallen lassen können, in erster Linie selbstredend die Frage, ob Urgroßmutter nun adlig wird.
    Während das alles in der Luft hängt, sehe ich Tilte an, dass sie an der Neuigkeit zu knabbern hat, denn der Platz auf Urgroßmutters Schoß war seit Menschengedenken für sie reserviert gewesen.
    Viele, und dazu zähle ich mich selbst, würden meinen, dass wir nun die äußerste Grenze dessen erreicht haben, was eine Familie an einem Abend an Veränderungen verkraften kann. Aber kaum haben wir uns einigermaßen gesammelt, sagt Vater: »Ich trete als Pfarrer zurück. Mutter hört als Organistin auf. Wir gehen auf Pilgerfahrt. In Wien geht’s los. Bei Knize und in einigen der großen Konditoreien. Wenn wir nach Hause kommen, möchte eure Mutter eine kleine Fabrik eröffnen. Und ich möchte ein Buch schreiben. Über spirituelles Kochen.«
    An dem Punkt sehen sich Tilte und Vater in die Augen. Tilte und wir anderen lassen uns von Vaters leichtem und scherzhaftem Ton nicht täuschen. Es ist sein tödlicher Ernst.
    »Ich verspreche euch«, sagt er langsam, »dass in dem Kochbuch kein Wort darüber stehen wird, dass der Heilige Geist in Entenrillettes erscheint.«
    Wir atmen alle aus. Ich sage bewusst, dass wir ausatmen und nicht, dass wir erleichtert aufatmen. Denn angesichts der afrikanischen Elefanten und so weiter wirst du verstehen, dass wir mit Eltern wie unseren niemals eine hundertprozentige Garantie haben.
    Dann sagt Vater: »Wie wär’s mit einem Bier?«
    Langsam und sorgsam stellt er jedem von uns eine Halbliterflasche Spezialbräu der Brauerei Finø hin.
    Ich weiß nicht, wie es in deiner Familie ist. Vielleicht gab’s schon Johannisbeerlikör im Milchfläschchen und hochprozentigen Selbstgebrannten zu deiner Konfirmation. Aber unsere Eltern haben mir oder Tilte oder Basker niemals Alkohol angeboten, das ist das erste Mal, und man weiß warum. Weil jedes Mal, wenn Erwachsene einen Korken ziehen oder einen Bierverschluss abhebeln, sie dasGebrüll aus dem Abgrund in ihnen selbst vernehmen, aber glauben wollen, das Geräusch komme von den Kindern. Also das hier ist tief. Wir schenken das Bier ein, schauen in die Runde, prosten uns zu und trinken und wissen allesamt, dass wir in diesem Augenblick an einem Abendmahl, einem Sakrament teilhaben, das mindestens so viele Turbinenumdrehungen hat wie die Abendmahlsfeier in der Kirche von Finø-Stadt.
    Und da merke ich dann, dass noch ein Gast da ist, er hat sich hinter mich gesetzt. Es fühlt sich so leibhaftig an, dass ich mich umdrehe, aber da sitzt niemand. Da wird mir klar, es ist die Einsamkeit. Umgeben von guten Freunden, Basker zu Füßen und Conny neben mir, fühle ich mich trotzdem vollkommen

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