Die Kinder der Elefantenhüter
bist du nicht. Ich würde sagen, du bist ein Mensch, dessen Anblick vielen zu denken gibt, besonders so, wie du jetzt aussiehst. Aber die Dame auf der Bank, wie die beiden andern auch, war schon vorher tot.«
Alexander starrt mich an.
»Ich glaube«, sagt er, »dass ich die positiven – die wenigen, aber wirklich positiven – Seiten, es mit Kindern zu tun zu haben, vielleicht nicht ausreichend beachtet habe.«
Ich stehe auf. Meine Beine zittern etwas weniger. Ich brauche frische Luft.
Abgesehen von den Sicherheitsleuten ist die Halle leer, nur zwischen zwei Säulen bemerke ich eine Bewegung, es sind Tilte und Jakob Aquinas. Sie haben mich nicht gesehen.
»Tilte«, sagt Jakob, »die letzten Stunden haben mich verändert. Ich habe Dinge gesehen, in mir selbst und in deiner Familie … und habe herausgefunden, dass ich mich wahrscheinlich doch nicht zum Priester eigne.«
Dann küsst Tilte ihn.
Es ist eigentlich nicht mein Stil, stehenzubleiben und zu gaffen, wenn die eigene Schwester ihren Liebsten küsst. Was mich wie angenagelt festhält, ist Jakobs Hand mit dem Rosenkranz, die hinter Tiltes Rücken plötzlich stillsteht.
»Jakob«, sagt Tilte, »wenn du weiter auf die Tür zugehen willst, besonders da du jetzt einen Kopfsprung ins weltliche Leben machst, musst du unbedingt üben, dein Ave Maria weiterzubeten, auch wenn wir uns küssen. Probieren wir’s noch mal?«
Diesmal kann ich mich losreißen und schleiche hinaus.
Ich gehe über den Schlosshof, Jakob und Tilte schließen zu mir auf, Hans und Aschanti und Basker sind gleich dahinter. Ohne ein Wort zu wechseln, gehen wir über den Deich, passieren den Schlagbaum, hinter der Scheibe des Wachhäuschens schläft Beamter Bent mit Mejse auf demSchoß, wir gehen still an ihnen vorüber und am Seeufer entlang.
Neben dem Fußweg steht ein Auto, ein Maserati. Wir biegen ins Gebüsch ab, der Pfad verbreitert sich zu einer Lichtung, auf einer Bank sitzt Schiffsreeder Poul Bellerad mit einem Fernglas. Neben ihm stehen die beiden kahlen Leibwächter, der eine ist dabei, die Augen des Reeders mit einem Schnupftuch zu trocknen, der andere massiert ihm die Schultern.
Als er uns hört, dreht er sich um, ein Licht freudiger Erwartung flackert in seinen Augen auf und erlischt sofort, als er uns sieht. Er hatte auf Henrik gehofft.
»Poul«, sage ich, »ich möchte dich gern etwas fragen.«
Er sieht mich leblos an.
»Unsere Leichenbestatterin auf Finø, Bermuda Svartbag Jansson, sie ist eine Freundin unserer Familie und im ganzen Land gefragt und dafür bekannt, die Leute unter die Erde zu bringen, als sollten sie zum Hofball. Sie sagt, nur drei Dinge brächten die Menschen dazu, wirklich schlimme Pläne auszuhecken: Religion, Sex und Geld. Religion und Sex, das kann ich verstehen. Aber Geld …«
Es sind Gäste eingetroffen. Hinter der Bank stehen Albert Wiinglad und Lars und Katinka, Katinka hat drei Paar Handschellen dabei, sie muss irgendwo eine Kiste davon stehen haben, denn in den letzten vierundzwanzig Stunden hat sie sie über den Tresen gereicht wie Würstchen an der Imbissbude.
Der Reeder steht auf. Er sieht mich an.
»Das warst du mit den Blumen«, sagt er. »Was für eine Rolle spielst du eigentlich in der ganzen Sache?«
»Ich bin ein Opfer«, sage ich. »Der Umstände.«
Die Handschellen klicken.
»Kann sein, dass Geld nicht das beste Motiv ist«, sagt Bellerad. »Aber das sauberste. Denk mal drüber nach.«
Dann führen sie ihn ab.
Albert Wiinglad bleibt da, er holt grade elf, zwölf Butterbrote als Zwischenmahlzeit aus einer Büchse mit dem Notproviant.
»Hilft eigentlich nichts«, sagt er.
Wir sehen ihn offensichtlich fragend an. Vielleicht meint er die Butterstullen, dass die nichts helfen und man nach fünf Minuten schon wieder Hunger hat.
»Die Festnahmen. Die Verhandlungen. Die Freiheitsstrafen. Das hilft nichts. Immer stehen wieder andere bereit. Da gibt’s irgendetwas, was wir nicht verstanden haben …«
Er hat in erster Linie mit sich selbst gesprochen.
»Die Königin möchte euch gerne danken«, sagt er. »Ich kann euch eine Mitfahrgelegenheit anbieten. Sobald ich zu Ende gekaut hab.«
Die andern gehen schon vor, er und ich bleiben noch stehen.
»Albert«, sage ich, »ich finde, es ist wichtig, Tilte und mir dabei zu helfen, dass wir den zig Journalisten, die sich gleich um uns scharen werden, nicht zu viel verraten. Stell dir vor, wir erzählen eine Geschichte, die der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln könnte,
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