Die Kinder des Dschinn Bd. 7 - Die Kristalle des Khan
angesiedelt war, die alte Zitadelle und die weit entfernte Bergkette waren unverkennbar, und da war ein Mann, der Mr Bilharzia verblüffend ähnlich sah und ihn einem Dieb abkaufte,nur dass er nicht mehr er selbst war, sondern – ein weibliches Kamel. Dann spürte John den Sattel, den er/sie trug, und das wunderschöne Zaumzeug, das man ihm/ihr angelegt hatte. Ja, dieses Zaumzeug war unverwechselbar. Er/sie, oder was immer John jetzt war, hatte auf jeden Fall Kauwida gefunden.
Doch der Schmerz dieser Entdeckung war enorm, denn war da nicht ein gewaltiger Kummer? Der Kummer über den Verlust eines Kindes. Die Erinnerung war leicht ausfindig zu machen. Sie war wie ein Knochensplitter, der aus einem gebrochenen Bein ragte …
Wie kann man einem unschuldigen, hilflosen Wesen nur so etwas antun? Sie haben mir das kleine grauweiße Kamelkind mit seinen steckendünnen Beinen, auf denen es kaum stehen konnte, weggenommen, als es noch keine Stunde alt war. Es war gerade erst aufgestanden, und ich hatte es noch nicht einmal gesäugt. Diese sanften braunen Augen. Es war das schönste Kind, das ich je gesehen habe.
Was für eine Ungeheuerlichkeit, es lebendig zu begraben! Ich kann seine schrillen, verzweifelten Schreie immer noch hören. Sie klangen fast menschlich, was es den grausamen Kriegern hätte erschweren müssen, mir das Kälbchen wegzunehmen. Doch die Mongolen sind nicht dafür bekannt, weichherzig zu sein; sie holten es fort, fesselten es an den Beinen und legten es ins Mausoleum neben all die anderen Schätze des Khan. Dann versiegelten sie das Grab, während ich, die Mutter des Kälbchens, an einen Pfosten gebunden zusehen musste. Wie lange ließen sie mich dort stehen und brüllen vor Verzweiflung, nachdem sie das Grab verschlossen hatten? Es fühlte sich an wie mehrere Tage. Lange genug, um zu wissen, dass das Kalb noch lebte und nach
seiner Mutter schrie, als sie mich fortholten. Lange genug, um mir diese Stelle bis in alle Ewigkeit zu merken. Ja, ich hätte dieses Grab mit geschlossenen Augen vom anderen Ende der Welt gefunden. Und allein am Geruch wiedererkannt. Er hat sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt wie eine ätzende Säure.
Wie könnte irgendjemand diesen Ort des Schreckens vergessen, an dem so viele andere – nicht nur mein Kalb – ihr Leben ließen, zu Tausenden, und alles nur, um das Grab des großen Herrschers Temüdschin geheim zu halten?
Ich habe mir die entlegene Stelle genau eingeprägt: Burkhan Khaldun, auch Khan Khentii genannt
(ein kleiner, unscheinbarer, aber gut gewählter Berg, knapp zweihundert Kilometer von Ulan-Bator entfernt, der heutigen Hauptstadt der Mongolei, ganz in der Nähe von Dschingis Khans Geburtsort bei Deluun Boldog).
Ein wegloses Ödland unweit des Zusammenflusses dreier Nebenflüsse des Kherlen und westlich des Flusses Onon, nördlich des Sees Khukh Nuur und der alten mongolischen Hauptstadt Karakorum in der Nähe eines Vorsprungs aus rötlichem Stein, auf einem Hochplateau, einem düsteren Ort aus Nebel und endloser Kälte.
Erst als er sich mehr oder weniger sicher war, dass er genau wusste, wo sich das Grab von Dschingis Khan befand, zog sich John aus den achthundert Jahre alten Erinnerungen Kauwidas zurück, stieg durch den Brunnen des Ahnengedächtnisses nach oben und zurück in das Bewusstsein des wilden australischen Kamels.
Doch sobald er dort war und all das, was das wilde Kamel sah, roch und hörte, von John Besitz ergriff, erwartete ihn eine unangenehme Überraschung.
Getrennte Wege
Es war dunkel und regnete in Strömen. Wasser perlte über Johns pelzigen Kopf und rann seinen buckligen Körper hinab; seine paarzehigen Füße standen bereits mehrere Zentimeter tief in einer immer größer werdenden Wasserlache. Ein weißer Lichtblitz, so grell wie donnerndes Artilleriefeuer, erhellte den schwarzen Himmel, und eine gezackte Lichtgabel riss einen Eukalyptusbaum entzwei und setzte ihn in Brand. Dem folgte ein Donnerschlag, so laut wie die Explosion von Krakatau – jedenfalls kam es John so vor –, und im nächsten Moment floh die gesamte Herde in Panik vor dem lodernden Baum. Auch John rannte davon, denn als er den Versuch machte, stehen zu bleiben, liefen andere Kamele gegen ihn, und bei fast zehntausend Tieren war ihm klar, dass er riskierte, zu Tode getrampelt zu werden, wenn er sich der Herde nicht anschloss. Nach ein paar Hundert Metern kam die Herde zum Stehen, doch ein weiterer Donnerschlag ließ sie
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