Die Kinder des Dschinn Bd. 7 - Die Kristalle des Khan
einhundertsechzig verschiedene Worte für Kamel. Aber nur ein einziges für einen amerikanischen Dummkopf, der Kamele komisch findet, und das lautet … «
»Mein Neffe wollte Sie nicht beleidigen, Mr Bilharzia«, sagte Nimrod besänftigend. »In Wirklichkeit kennt er sich mit Kamelen besser aus, als Sie es für möglich halten würden. Der Junge hat Kamele geritten und mit ihnen Rennen ausgetragen. Man könnte sogar sagen, er kennt sie in- und auswendig. Er hat gesprochen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, was junge Amerikaner gern tun. In Wirklichkeit findest du Kamele gar nicht komisch, nicht wahr, John?«
»Nicht im negativen Sinne«, sagte John. »Sondern im positiven. Wenn ich
komisch
sage, meine ich damit, dass sie bemerkenswert sind. Es kommt mir einfach seltsam vor, dass die Australier, die ohnehin schon so viele bemerkenswerte Tiere haben, noch mehr haben wollten. Schließlich sind Kamele nicht das Erste, was einem beim Gedanken an das Opernhaus von Sydney in den Sinn kommt, oder?«
»Opern auch nicht, ehrlich gesagt«, meinte Nimrod, »aber das ist eine andere Geschichte. Tatsache ist, John, dass ein Fünftel des australischen Kontinents aus Wüsten besteht. Das sind etwa 1,3 Millionen Quadratkilometer. Verteilt auf zehn Wüsten. Australien ist der trockenste Kontinent der Erde, noch trockener als die Antarktis, und damit ein ideales Land für Kamele.«
John zuckte die Achseln. »Das stimmt wohl.« Er lächelteMr Bilharzia an. »Tut mir leid, Mr Bilharzia. Ich wollte Sie nicht kränken.«
»Entschuldigung angenommen«, sagte Mr Bilharzia.
»Hier«, sagte John, »nehmen Sie noch ein Pfefferminz.«
»Vielen Dank.«
»Um genau zu sein«, sagte Nimrod, »gibt es über eine Million wilder Kamele in Australien. Viele von ihnen werden Nachkommen jener vierundzwanzig Tiere sein, die dieser Mr George Landells aus Melbourne gekauft hat.«
»Eine Million?«, staunte Mr Bilharzia. »Und wild, sagen Sie?«
Nimrod nickte.
»Vielleicht sollte ich mein Geschäft nach Australien verlegen«, sagte Mr Bilharzia.
»Kamele gelten dort inzwischen als Plage für die Landwirtschaft«, fuhr Nimrod fort. »So ähnlich wie Kaninchen. In einigen Landesteilen hat man sogar versucht, sie auszurotten.«
»Auszurotten?« Mr Bilharzia wirkte völlig entgeistert. »Sie meinen …?«
»Ja«, sagte Nimrod. »Sie werden erschossen.«
Mr Bilharzia riss vor Entsetzen Mund und Augen auf und fasste sich an den Kopf, als fürchte er, dass er explodieren könnte.
Einen Moment lang war John überzeugt, dass Mr Bilharzia, der Kamele offensichtlich sehr liebte, geschrien hatte. Es dauerte ein oder zwei Sekunden, ehe er begriff, dass der Schrei, den er gehört hatte und weiter hörte, von draußen kam.
Es war der Schrei eines Mannes, und etwas daran kam Nimrod, der ein scharfes Gehör besaß, vertraut vor.
»Merkwürdig«, sagte er.
Im Obergeschoss von Mr Bilharzias Haus hatte Philippa den Schrei ebenfalls gehört und eilte zum Fenster.
»Macht Euch keine Gedanken«, sagte Mrs Bilharzia. »In dieser Nachbarschaft erlebt man so allerhand. Das können Terroristen sein. Soldaten auf Freigang oder ein Tier, das Schmerzen leidet. Ein Hund vielleicht. In diesem Teil von Kandahar gibt es viele Streuner, und manche Leute behandeln sie sehr grausam.«
Der Schrei hallte weiter durch die Luft wie etwas, das niemals enden wollte.
»Wahrscheinlich ist es jemand, der gegen die Stromrationierungen protestiert. Hier fällt ständig der Strom aus, und die Leute haben die Nase gestrichen voll davon.«
»Das Licht scheint aber zu funktionieren«, meinte Philippa.
»Wir haben einen Generator«, erklärte Mrs Bilharzia stolz. Philippa schob den Vorhang beiseite und sah die Straße entlang. Draußen war es fast dunkel, auch wenn die Asche vom Ausbruch des Taftan im Iran den Himmel blutrot gefärbt hatte. Hinter Mr Bilharzias Haus stand ein leerer Wagen mit eingeschalteten Scheinwerfern neben dem leuchtend blauen kamelförmigen Swimmingpool. Im Scheinwerferlicht sah sie einen kahlköpfigen, ziemlich korpulenten Mann mittleren Alters vor dem Auto stehen und aus keinem ersichtlichen Grund schreien. Er hatte beide Hände ans Gesicht gepresst und die Augen vor Angst und Abscheu weit aufgerissen.
Der Professor trat zu Philippa ans Fenster, konnte aber durch die Maske und das Stoffgitter seiner Burka kaum etwas erkennen.
»Was ist los?«, fragte er.
»Es sieht nicht danach aus, als würde jemand gegen
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