Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
die alte Nonne ihn nicht hörte. »Jeder einzelne Knochen des Diagramms scheint einer Zahl in dieser anderen Zeichnung zugeordnet zu sein.« Er deutete auf ein Quadrat aus sechsunddreißig Zahlen, das direkt über dem Kopf des Skeletts in den Truhendeckel eingraviert war.
»Was ist das?«, fragte Philippa.
»Wenn mich nicht alles täuscht«, sagte Nimrod, »ist das ein magisches Quadrat aus China. Es heißt, ein Dschinn habe vor vielen Jahrhunderten das magische Quadrat erfunden. Und Quadrate wie dieses wurden in China oft als Glücksbringer unter das Fundament neuer Häuser platziert. Mitunter wurden sie auch benutzt, um ein Diskrimen herzustellen. Du weißt schon: ein Wunsch, der unabhängig von einem Dschinn existieren kann. Es gibt gute wie schlechte und sie haben keine zeitliche Begrenzung. Nur habe ich noch nie von einem Diskrimen gehört, das so lange hält.«
»Aber was bewirkt es?«, fragte Finlay.
»Wenn nur Mr Rakshasas hier wäre«, sagte Nimrod. »Er weiß in diesen Dingen viel besser Bescheid als ich. Ich vermute, das hier ist etwas, das man ein
chuan dai zi
nennt. Was es genau bedeutet, weiß ich nicht. Nur dass diese Truhe mit Knochen dazu bestimmt ist, eine Art Nachricht zu übermitteln. Dazu muss man, glaube ich, ein magisches Quadrat auf den Boden zeichnen und alle Zahlen an die richtige Stelle schreiben. Dann legt man jeden Knochen in das im Diagramm angegebene Quadrat und die Nachricht kann übermittelt werden.
Persönlich
.«
»Du meinst, durch die Person, der die Knochen gehören?«, fragte Philippa.
»Ganz genau«, antwortete Nimrod.
»Sie machen Witze«, sagte Finlay. »Das alles sollen ein paar simple Zahlen fertigbringen?«
»Du irrst dich«, sagte Nimrod. »Zahlen sind die Grundlage sämtlicher Materie und damit auch die Grundlage allen über der Materie stehenden Geistes.«
»Das würde jedenfalls erklären, warum das Jadebuch explizit die Knochen von Markus erwähnt«, sagte John.
»Allerdings«, pflichtete Nimrod ihm bei.
»Aber wer ist dieser Markus, wenn es nicht der
heilige
Markus ist?«, fragte Philippa.
»1320, Venedig, China«, sagte Nimrod. »Könnt ihr euch das nicht denken? Liebe Güte, was bringen sie euch heutzutage eigentlich in der Schule bei?«
Schwester Cristina war im Begriff, ihr Telefongespräch zu beenden.
»Die Frage ist«, sagte Nimrod, »unter welchem Vorwand wir uns anhören können, was der Bote zu sagen hat, ohne dass Schwester Cristina ihn ebenfalls sieht? Das könnte ein ziemlicher Schock für sie werden. Vielleicht bekommt sie es sogar mit der Angst zu tun. Schließlich wird einem nicht jeden Tag eine Botschaft von jemandem überbracht, der seit fast siebenhundert Jahren tot ist.«
»Warum zappen Sie sie nicht einfach woandershin?«, schlug Finlay vor. »Schließlich sind Sie ein Dschinn.«
»In ihrem Alter?«, sagte Nimrod. »Lieber nicht.«
»Wie wäre es, wenn einer von uns mit deinem Handy nach draußen geht?«, schlug John vor. »Dann ruft er sie hier drinnen an und teilt ihr mit, dass unten am Eingang ein eiliges Paketauf sie wartet. Man braucht fünfzehn Minuten, um hier heraufzukommen, hat sie selbst gesagt. Hin und zurück wäre sie damit gut und gern eine halbe Stunde unterwegs. Das müsste uns mehr als genug Zeit lassen.«
Nimrod biss sich auf die Lippe. »Es gefällt mir gar nicht, einer alten Dame solche Anstrengungen aufzubürden, wie du es vorschlägst, John«, sagte er. »Aber ich sehe keine praktische Alternative, die ohne den Einsatz von Dschinnkraft auskäme.«
»Außerdem macht sie einen sehr rüstigen Eindruck«, fügte Philippa entschuldigend hinzu.
»Wahrscheinlich sollte ich das besser übernehmen«, sagte Nimrod. »Schließlich spreche ich Italienisch.«
Schwester Cristina beendete ihr Telefonat. »Also gut«, sagte sie. »Wo war ich stehen geblieben?«
Nimrod lächelte sie höflich an. »Bitte entschuldigen Sie mich für einen Moment.«
Er ging hinaus und eine Minute später klingelte in der Reliquienkammer das Telefon. Schwester Cristina nahm den Hörer ab und lauschte, dann schnalzte sie ärgerlich mit der Zunge, sagte irgendetwas auf Italienisch und legte wieder auf. Nimrod kam mit ziemlich schuldbewusster Miene wieder herein, doch Schwester Cristina brachte ihn nicht mit dem Anruf in Verbindung. Sie entschuldigte sich für die Zeit, die sie brauchen würde, »um den ganzen Weg hinunterzusteigen und wieder heraufzukommen«, ging hinaus und ließ Nimrod, Philippa und Finlay/John mit der Messingtruhe
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