Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
Schädel mit Glasaugen und juwelengeschmückten Zähnen war in ein Tuch aus glänzendem Samt eingewickelt. Sogar ein vergoldetes Bein gab es, das angeblich einen Oberschenkelknochen von Markus enthielt.
»Ganz schöne Auswahl, nicht?«, sagte Schwester Cristina kopfschüttelnd. »Das meiste davon haben wir vor einiger Zeit einer Radiokarbonuntersuchung unterzogen; nichts davon ist älter als tausend Jahre. Mit anderen Worten, das meiste Zeug ist unecht. Aber wir bewahren es auf, weil es zu unserer Geschichte gehört und aus einer Zeit stammt, als solche Sachen den Menschen viel bedeutet haben. Als die Gläubigen dachten, diese Reliquien hätten die Kraft, sie zu heilen, und Ähnliches.«
»Gibt es unter den Dingen, die Sie hier aufbewahren, irgendetwas, von dem Sie glauben, es könnte echte Kräfte besitzen?«, fragte Philippa.
Schwester Cristina dachte einen Augenblick nach.
»Ja, gibt es«, sagte sie. »Und seltsamerweise soll es sich dabei ebenfalls um Reliquien von Sankt Markus handeln. Obwohl sie unmöglich echt sein können, geht von der Kiste, in der sie sich befinden – übrigens ein wunderbar gearbeitetes Stück, das für die Schubladen zu groß ist –, eine Art Kraft oder Energie aus. Je nachdem, wie Sie es nennen wollen. Ich finde es höchst seltsam.«
»Warum sagen Sie dann, die Reliquien könnten unmöglich echt sein?«, fragte Philippa.
»Weil wir sie ebenfalls mit der Radiokarbonmethode datieren ließen, um ihr tatsächliches Alter festzustellen. Wir wissen aus Büchern, dass der heilige Markus etwa A. D. 63, im achten Herrschaftsjahr des römischen Kaisers Nero, in Alexandria gestorben ist. Aber dieses Skelett wurde auf das frühe vierzehnte Jahrhundert datiert. Etwa auf 1320. Es kann sich also unmöglich um die Gebeine von Sankt Markus handeln.«
»Ja, ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Nimrod. »1320. Wie sonderbar.«
»Da ist noch etwas«, sagte Schwester Cristina. »Auf jedem der 205 Knochen befinden sich mit Gold eingravierte chinesische Zeichen.«
»Sagten Sie 205?«
»Genau 205«, wiederholte Schwester Cristina.
»Welche Art von Zeichen?«, fragte Nimrod.
»Zahlen«, erwiderte Schwester Cristina. »Natürlich gibt es keinerlei Aufzeichnungen darüber, dass Sankt Markus jemals in China war. Weiter östlich als Ägypten und Jerusalem ist er nie gewesen. Also kann er es einfach nicht sein, oder?«
»Nein. Trotzdem würde ich gern einen Blick auf dieses Skelett werfen«, sagte Nimrod. »Aus reiner Neugier.«
Schwester Cristina schloss einen großen Schrank auf, räumte eine Anzahl Bischofsmitren, Hirtenstäbe, Kruzifixe, römische Piken und Speere, Langbogen und einen indischen Hockeyschläger beiseite und bückte sich, um eine verstaubte Holzkiste, in der gut und gern ein Dutzend Gewehre Platz gehabt hätten, herauszuziehen und über den Boden zu zerren. John, dessen Hilfsangebot sie freundlich ablehnte, staunte über die Kraft der alten Nonne.
»Nett von dir, mir helfen zu wollen, aber das ist meine Arbeit, weißt du«, erklärte sie John und tupfte sich mit ihrem Tüchlein den Schweiß von den Brauen. »Arbeit ist nur dann Arbeit, wenn man sie fast lieber nicht tun würde. Wenn ich deine Hilfe annähme, würde ich damit zugeben, dass ich sie nicht mehr allein verrichten kann.«
Sie öffnete die Kiste und enthüllte eine prunkvolle, glänzende Messingtruhe, in die verschiedene chinesische Zahlen eingraviert waren. »Dort steht der Name von Sankt Markus auf Chinesisch«, sagte Schwester Cristina und deutete auf eine am Fuß der Truhe angebrachte Plakette aus Elfenbein. »Zumindest haben uns das die Leute erzählt, die Chinesisch können.« Sie lachte. »Was mich angeht, könnte da auch ›Made in Taiwan‹ stehen.«
Nimrod fuhr mit dem Finger über das elfenbeinerne Namensschild und die Zeichen, die den Namen »Markus« ergaben.
Schwester Cristina hat recht, dachte er. In den Fingerspitzen spürte er, dass die Truhe mit einer seltsamen Form von Energie aufgeladen war; doch es war die Grafik auf dem Truhendeckel, die seine sofortige Aufmerksamkeit erregte.
»Wie Sie sehen, ist es das Diagramm eines menschlichen Skeletts«, sagte Schwester Cristina. »Sehen Sie nur die Kennzeichnung der einzelnen Knochen. Faszinierend, nicht wahr?«
»Wie etwas, das ein Medizinstudent verwenden würde«, meinte Philippa.
Dann klingelte das Telefon und Schwester Cristina ging fort, um den Hörer abzunehmen.
»Ich glaube, es ist viel mehr als das«, sagte Nimrod leise,damit
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