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Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Titel: Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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wieder mit einem Stock ab wie ein Blinder. So kam er schnell dahinter, dass Eno die Gefahr keinesfalls übertrieben hatte, denn die breite Straße besaß durchaus ihre Tücken. In jedem Gefäß schwamm eine dünne Schicht Öl und verbarg einen Deckel, unter dem eine Schlange lauerte. Durch die Erschütterung, die Johns Schritte und der Stock verursachten, rieselte nun die Sandpyramide auseinander und ließ das Gefäß vor John auf den Weg kippen. Es brach auseinander wie ein Ei und heraus kroch eine fast fünfzehn Meter lange Schlange. Hätte John irgendwelche Zweifel gehabt, ob die Schlange gefährlich sei oder nicht, so wären diese schnell ausgeräumt gewesen. Das Reptil packte mit seinem Maul, das die Form und Größe eines Fahrradsattels hatte, Johns Stock, schlang sich mehrere Male darum und zerknickte ihn wie ein Streichholz. Dann stieß die Schlange ein lautes Zischen aus und fixierte John.
    Als Finlay die Augen der Schlange sah, zögerte er nicht lange: Mit ausgestreckten Fängen flog er darauf zu und attackierte den Kopf der Schlange mit dem gleichen wütenden Gekreisch,das auch der Vogel Rukhkh bei seinen Angriffen auf das Boot ausgestoßen hatte. Für John war die Gelegenheit zum Weglaufen günstig, und während die Riesenschlange versuchte, ihre Augen vor dem tapferen kleinen Falken zu schützen, rannte John, so schnell er konnte, weiter und erreichte ohne Zwischenfälle das Ende der breiten Straße, die fast einen Kilometer lang war. Hier setzte er sich nieder, lehnte sich an einen Baum und ruhte sich aus, bis ein paar Minuten später – und um ein paar Schwanzfedern ärmer – Finlay nachkam. An seinen Krallen war Blut.
    John trank einen Schluck Wasser und schloss die Augen. In der Stille um ihn herum merkte er irgendwann, dass sich vor ihm im Wald etwas Großes bewegte. Erst dachte er, es sei wieder eine Riesenschlange oder gar der Vogel Rukhkh, und er schickte Finlay zu dessen Sicherheit auf einen Baum – denn aus der Luft war der Wald hier so dicht, dass Finlay ohnehin nicht durch das Blätterdach sehen konnte. Um herauszufinden, was für ein geheimnisvolles Etwas sich dort zwischen den Bäumen bewegte, beschloss John, sich nach Indianerart anzuschleichen.
     
    Am Rand einer Lichtung legte er sich auf den Bauch und wartete. Er war sicher, dass das große Etwas vor wenigen Augenblicken noch an dieser Stelle gestanden hatte. Ein so großes Wesen konnte sich unmöglich so schnell davongemacht haben! Aber dann bewegte sich etwas vor ihm, etwas fast Unsichtbares, doch die Luft um das Ding herum vibrierte und gab dem Ganzen eine unbestimmte Form. Allmählich erkannte John, dass es eine Art Gespenst war, ein großes, unförmigesGespenst, der Geist eines Riesen vielleicht, denn es war so groß wie ein Baum und so breit wie ein Haus. Ab und zu stöhnte das Gespenst und ließ elektrischen Strom knistern, dann wurde in einem grünlichen Schimmer die vage menschliche Gestalt für einen Augenblick deutlicher.
    Langsam kramte John Enos Buch heraus und stellte fest, dass der Hohepriester sich sehr unklar über diese Kreatur ausgedrückt hatte, dass aber Virgil Macreeby seiner Übersetzung eine Fußnote beigefügt hatte, die eine ausführlichere Erklärung bot:
    »Es sind nicht nur unbesonnene, in Wut ausgesprochene, böse und überflüssige Wünsche, die es nach Iravotum zieht. In einem Anhang zu Enos Buch, von dem heute nur noch ein Fragment existiert, erklärt der Hohepriester, dass außer den Resultaten der oben genannten Wünsche auch sämtliche unerfüllt gebliebenen menschlichen Wünsche nach Iravotum gehen – Wünsche, die niemals wahr geworden sind oder niemals wahr werden konnten. Eno schreibt dazu, dass die Energie dieser unverwirklichten Wünsche sich zu einer einzigen großen, übernatürlichen Kraft zusammenballt, die er Optabelua nennt. Das ist in etwa mit ›Wunschmonster‹ zu übersetzen. Es heißt, dieses Wesen – so es als Wesen bezeichnet werden kann – entsprang einst Ischtars schlafendem Gehirn, als sie gewünscht hatte, Nebukadnezar möge ihr einen Tempel bauen. Das könnte auch die Erklärung einer unter Dschinn gebräuchlichen Redensart sein: ›Geh vorsichtig mit deinen Wünschen um.‹«
    John beobachtete dieses grünliche, nahezu unsichtbare Wesen und lauschte dem leisen Stöhnen, das aus seinem formlosen,verschwommenen Mittelpunkt drang. Er wollte sich mit einem einfachen Experiment vergewissern, dass es tatsächlich das Wunschmonster war. Für einen Moment verdrängte er sein

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