Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
Ayesha erkannte: die gepflegte, glanzvolle Erscheinung und den unnachgiebigen Zug in ihrem Wesen. Erstaunlich nur, dass ihr das vorher nieaufgefallen war. Oder dass niemand sie je auf diese Ähnlichkeit hingewiesen hatte. Kein Zweifel, Layla war Ayeshas Tochter. Und sie war klüger als Onkel Nimrod, so wie Philippa klüger war als ihr Bruder John.
Armer Junge. Wie würde er ohne sie zurechtkommen? Nicht, dass sie das interessierte. Verwandte waren ja eher etwas lästig. Lästig und peinlich. Sie wusste eigentlich nicht mehr viel von John, außer dass er eine lächerliche Karikatur ihrer selbst war. An sein Gesicht konnte sie sich kaum noch erinnern. Sie hatte zum Beispiel die Farbe seiner Augen völlig vergessen. Und hatte er rotes Haar wie sie? Oder war er dunkel? Sooft sie sich die guten Seiten ihres Bruders ins Gedächtnis rufen wollte, fiel ihr nur ein, dass sie seine Gegenwart gerade so eben erträglich gefunden hatte.
An ihren Vater Edward verschwendete sie keinen Gedanken. Das war ja nun überhaupt das Peinlichste. Ein gewöhnlicher Mensch als Vater. Nein, wirklich! Was konnte sich ihre arme Mutter nur dabei gedacht haben? Er sah noch nicht einmal gut aus. Selbst für einen Irdischen schien er höchst gewöhnlich.
Doch diese Gedanken behielt Philippa für sich. Mit Ayesha über ihre Familie zu reden konnte zu nichts führen. Was hätte es für einen Zweck gehabt? Es hätte nichts ändern können. Nicht jetzt. Sie fühlte sich auch nicht bemüßigt, mit Miss Glovejob über diese Dinge zu reden. Was hätte
das
für einen Zweck gehabt? Aber worin lag denn der Zweck von Miss Glovejobs Existenz überhaupt, so fragte sich Philippa. Sie konnte kaum begreifen, dass eine so intelligente, gebildete und logisch denkende Frau wie Ayesha an einem Insekt wie MissGlovejob als Zofe und Gesellschafterin festhielt. Philippa würde eine klügere Person als Gesellschafterin anstellen, sobald sie selbst Blauer Dschinn sein würde – was angesichts Ayeshas nachlassender Geisteskraft bald zu erwarten war. Wie sonst sollte man sich das Fiasko erklären, das aus Iblis’ vermutetem Exil auf der Venus geworden war?
Philippa hatte erfahren, dass Ayesha 10 Millionen Dollar an Bull Huxter gezahlt hatte, damit er den Behälter samt der Flasche mit Iblis an Bord der Raumsonde
Wolfhound
mit zur Venus nähme. Zeitungsberichten zufolge stand aber der Start der Rakete vom französischen Weltraumzentrum in Guayana erst noch bevor. Technische Probleme hätten zu Verzögerungen geführt, wurde in den Zeitungen gemeldet. Was aber tatsächlich beunruhigend war: Bull Huxter war samt dem Behälter mit Iblis und Ayeshas Geld verschwunden. Schlimmer noch, das Glücksmeter in Iravotum – das Messgerät für Glück und Unglück in der Welt – zeigte eine künftige Zeitspanne tiefen Unglücks an. Die Homöostasis, das feine Gleichgewicht zwischen Glück und Unglück, existierte nicht mehr. Zurzeit jedenfalls nicht. Das deutete darauf hin, so erklärte Ayesha, dass Iblis wieder auf freiem Fuß war und auf Rache sann.
»Und wer ist schuld daran?«, sagte Philippa. »Niemals hätten Sie eine so schwerwiegende Dschinn-Aufgabe einem Irdischen wie Bull Huxter übertragen dürfen. Er muss herausgefunden haben, was in dem Behälter ist, und sich gedacht haben, er könnte eine Art Geschäft mit Iblis machen. Ihn aus der Flasche befreien und dafür drei Wünsche fordern oder so was. Warum haben Sie ihn nicht einfach in einen der Räume dieses alten Palastes gesteckt? Wir könnten doch genauso gutauf der Venus sein, nach allem, was hier so passiert. Noch dazu hätten Sie sich 10 Millionen Dollar sparen können.«
»Du nimmst das sehr persönlich, Philippa«, sagte Ayesha.
»Natürlich nehme ich das persönlich. Sie haben wohl vergessen, dass ich es war, die Nimrod bei der Gefangennahme von Iblis geholfen hat? Nach meiner glücklicherweise kurzen Bekanntschaft mit ihm scheint er mir ein ganz übler Dschinn zu sein. Einer, der ein
Vindiktum
gegen Nimrod, meinen Bruder John und, noch wichtiger, gegen mich selbst aussprechen könnte. Deshalb macht es mir natürlich Sorgen, dass er verschwunden ist, ja.«
»Du übertreibst, Kind«, sagte Ayesha.
»Beim Dschinnverso-Turnier musste ich gegen Iblis’ jüngsten Sohn Rudyard spielen. Er konnte es nicht mal über sich bringen, mit mir zu reden, Ayesha. Er musste seine Gebote durch den Spielleiter an mich richten lassen. Glauben Sie mir, wenn Blicke töten könnten, wäre ich schon tot.« Philippa schüttelte
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