Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
zittrigen Seufzer aus und wartete, bis sein Herzklopfen etwas nachließ. Nach einer Weile blinzelte er vorsichtig durch die Glaswand und riskierte einen ausführlicheren Blick auf dieses Wesen, das ihn hatte töten wollen. »Ist er tot?«
»Das hoffe ich doch nicht«, sagte Nimrod, kniete neben der Kreatur nieder und legte die Finger an ihren Hals, um denPulsschlag zu fühlen. Aber noch während er sprach, ging mit dem Schleicher eine Verwandlung vor sich. Der halb menschliche Kopf nahm vollends menschliche Gesichtszüge an und der vierbeinige Körper verwandelte sich in einen kleinen Mann in gepflegtem dunklen Anzug, mit einer Fliege und gelben Handschuhen. Nicht lange, und der kleine Mann wälzte sich laut stöhnend auf den Rücken. John konnte sich gut vorstellen, wie ihm zumute sein musste. Noch jetzt spürte er die Beule an seinem Kopf von der Wand im Pergamon-Museum. Dabei hatte er sich vielleicht mit einem Zehntel der Geschwindigkeit bewegt.
Nach einer Weile setzte sich der Mann auf, rieb mit leidender Miene über seinen Kopf, streifte einen Handschuh ab und tastete mit den Fingern über seinen Mund, der blutete. Als er sah, dass ein wenig Blut auf sein Hemd getropft war, runzelte er missbilligend die Stirn.
»Nun sehen Sie, was Sie mit meinem Hemd gemacht haben«, sagte er mit hoher Stimme auf Deutsch. Zufrieden stellte John fest, dass er jedes Wort verstehen konnte.
»Tut mir leid«, sagte Nimrod, dessen Deutsch einwandfrei war. »Aber Sie müssen sich unseren Schrecken vorstellen, als wir uns plötzlich von einem furchtbaren Dämon attackiert sahen. Nämlich von Ihnen.« Nimrod streckte ihm die Hand hin. »Aber nun lassen Sie sich aufhelfen.«
Nimrod führte den kleinen Mann zu einem Steinsitz auf der Veranda der Villa Fledermaus, auf den dieser sich erschöpft niederließ.
»Ich danke Ihnen, Sir«, sagte er höflich. Sein Verhalten unterschied sich so sehr von dem, das er in seiner Dämongestaltgezeigt hatte, dass sich John fragte, wie diese beiden Geschöpfe eins sein konnten. »Haben Sie denn nicht das Schild am Tor gesehen?«, fragte der Mann Nimrod.
»Doch, Mr …?«
»Damascus. Jonah Damascus.« Er hatte inzwischen ein Taschentuch gefunden und tupfte sich damit das Blut vom Mund. »Aber wenn Sie das Schild gesehen haben« – Mr Damascus formulierte seinen Zweifel sehr höflich –, »warum sind Sie dann mit dem Jungen das Risiko eingegangen, dieses Grundstück zu betreten? Sie sind ein Dschinn. Das ist offensichtlich. Daher kennen Sie die korrekte Art und Weise, wie mit dem Blauen Dschinn – Friede sei mit ihr – in Verbindung zu treten ist. Nur im Pergamon. So lautet die Vorschrift.«
»Wir waren schon im Pergamon«, sagte Nimrod und hob die Blume auf, die aus Mr Damascus’ Knopfloch gefallen war. »Dort war sie nicht.«
»Dann hätten Sie warten müssen. Oder einen Termin ausmachen. Auf dem vereinbarten Weg.«
»Es handelt sich leider um einen Notfall«, beharrte Nimrod. »Im Übrigen wusste ich, was ich tat. Ich war nämlich schon hier.«
»Ach ja? Wie haben Sie das gemacht?«
»Das ist im Augenblick nicht wichtig«, sagte Nimrod. »Sie ist jedenfalls nicht da. Und ich habe eine wichtige Nachricht für sie. Wegen Salomons Grimoire.«
»Eine Nachricht? Was für eine Nachricht?«
»Es ist möglicherweise gestohlen worden.«
»Unmöglich!«, schnaubte Mr Damascus. »Das kann nicht sein.«
»Nun, wenn es nicht sein kann, so experimentiert aber doch jemand mit dem Wissen, das darin aufbewahrt ist. Mein junger Neffe hier ist das Opfer einer mächtigen Dschinnfessel geworden, die nur aus dem Grimoire stammen kann. Sie sehen also, es ist dringend erforderlich, dass Ayesha so schnell wie möglich darüber informiert wird. Wissen Sie, wo sie sich aufhält, Mr Damascus?«
»Vielleicht. Aber darf ich erst erfahren, wer Sie sind?«
»Mein Name ist Nimrod Plantagenet Godwin. Und das hier ist mein junger Neffe John Gaunt.«
Damascus erhob sich von dem Verandasitz und verbeugte sich. »Ich habe von Ihnen gehört«, sagte er. »Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen: Sie ist gestern aus Berlin abgereist. Ich habe sie persönlich zum Flugplatz gefahren. Ich bin hier neben Miss Glovejob für fast alles zuständig. Als Butler, Gärtner, Mädchen für alles, Wachmann und Chauffeur.«
»Wissen Sie, wohin sie geflogen ist?«
»O ja. Nach Budapest.«
»Warum wollte sie denn dorthin?«, fragte Nimrod.
»Ich bin nur ihr Türdämon«, sagte Mr Damascus. »Mehr kann ich nicht
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