Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
zermalmt.Nimrod blieb einen Moment stehen und lauschte, bevor er weiterging. »Es ist ein Dämon, der gern an der Schwelle eines Hauses auf der Lauer liegt, um es vor unwillkommenen Gästen zu schützen.« Mit einem kurzen Blick streifte er die Mauer oberhalb der Tür, während sie sich dem Haus näherten. »Oder er hockt auf dem Dach.«
»Sind wir denn unwillkommene Gäste?«
»Die Möglichkeit besteht immer«, sagte Nimrod.
Es wurde allmählich dunkel, aber im Haus gingen keine Lichter an. Die Vorstellung, ein Dämon könnte sprungbereit in der Nähe lauern, machte John ziemlich nervös. Dieses Gefühl verstärkte sich eher noch, als Nimrod auf die Vorderveranda trat, nach einem großen Messingteil in Form eines anatomisch perfekten menschlichen Herzens griff, kurz überlegte und es schließlich als Türklopfer benutzte. »Ayeshas Vorstellung von einem Scherz«, erklärte er. »Weil sie bekanntlich so hartherzig ist.«
Eine Zeit lang standen sie im hellen Mondlicht und warteten. Fledermäuse flatterten zwischen den Bäumen und um die Mauertürmchen herum, und irgendwo schrie laut eine Eule. Im Innern des alten Hauses aber rührte sich nichts. John bückte sich, hob die Klappe vor dem Briefschlitz an und linste durch den Spalt. In der düsteren Eingangsdiele konnte er eine Großvateruhr erkennen, einen Schirmständer aus einem zottigen Mammutfuß, einen großen leeren Kamin, einen Tisch und auf dem Boden einen Stapel ungeöffneter Briefe. »Keiner da«, sagte John.
»Ich würde das an deiner Stelle nicht tun«, sagte Nimrod. »Vielleicht stören wir damit etwas auf.«
»Scheint doch alles ganz ruhig«, sagte John schulterzuckend.
»Ich weiß. Das macht mir ja eben Sorgen. Es ist ein bisschen zu ruhig.«
Er zuckte zusammen, als John die Klappe mit einem scheppernden Geräusch zufallen ließ. »Bis jetzt jedenfalls«, ergänzte er.
»Komm«, sagte John und kehrte der Tür den Rücken. »Das Haus ist mir unheimlich. Gehen wir weg hier.«
»John! Bleib stehen!«, rief Nimrod, aber es war zu spät.
Kaum war John wieder auf dem Kiesweg, da sah er aus den Augenwinkeln etwas auf sich zurasen – es schien größer als ein Hund, bewegte sich aber zu schnell, als dass er es genau hätte erkennen können. Instinktiv begriff er, dass es der Dämon war und dass er ihm schleunigst ausweichen musste. Aber noch während ihm dieser Gedanke durch den Kopf schwirrte, war das Untier in großen Sätzen herangejagt, bereit, sich mit weit offenen, geifernden Fängen in Johns Hals zu verbeißen. Abgesehen vom Kopf war der Körper des Dämons zum größten Teil schwarz und von hyänenähnlicher Gestalt, die Schultern hoch und kräftig, die Hinterläufe niedriger als die Vorderläufe. Sein Kopf war enorm groß, hatte aber mit den deutlich abgerundeten Ohren und den übergroßen Zähnen etwas halbwegs Menschliches an sich. Speichel tropfte ihm vom Maul, als er nun unter irrem Gelächter zum entscheidenden Sprung auf Johns Kehle ansetzte.
John schrie auf, überzeugt, dass sein letztes Stündlein geschlagen hätte, und wäre nicht die Geistesgegenwart seines Onkels gewesen, hätte er wohl Recht gehabt. Trotzdem bliebNimrod kaum Zeit für irgendwelche Überlegungen, so schnell war der Dämon heran. (Für den Bruchteil einer Sekunde bedauerte John unwillkürlich den armen deutschen Briefträger, der täglich an einer solchen Kreatur vorbeimusste.) Nimrod wollte seinen Neffen vor ernsten Verletzungen bewahren, aber töten wollte er den Dämon auch nicht. Es versteht sich von selbst, dass Nimrod höchst ungern jemanden tötete – ihm als Engländer war Fairness oberstes Gebot. Außerdem hatte er ein paar Fragen und die würde ihm wohl nur der Schleicher beantworten können, da sonst niemand in der Villa Fledermaus anzutreffen war. Johns Missgeschick mit der Plenumwand im Pergamon-Museum zuckte ihm durch den Kopf, und schon stand – nach Ruf seines Fokuswortes QWERTZUIOP – eine Wand aus Panzerglas zwischen seinem Neffen und dem heranstürmenden Dämon. Nimrod hatte das beste Glas gewählt, das auf dem Markt war, mit einem Reinheitsgrad von 91,4 Prozent, was zur Folge hatte, dass John es nicht sah. Aber auch der Dämon sah es nicht. Mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 30 Stundenkilometern raste die Bestie gegen das harte Glas und es gab einen dröhnenden Gong wie von einem Glockenschlag. Der Schleicher prallte von der unsichtbaren Barriere ab, krachte auf den Kiesweg und blieb regungslos liegen.
John stieß einen tiefen
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