Die Kinder des Kapitän Grant
Stockeeper von einem Gewässer, das nicht gerade zu tief war, gehemmt; ein Hinderniß entstand einzig durch den Eigensinn der Heerde, die sich weigerte, hinüber zu gehen. Die Ochsen, nachdem sie an dem Wasser geschlürft hatten, kehrten um. Die Schafe flohen nach allen Richtungen aus einander, um nicht dem nassen Elemente Trotz zu bieten. Man erwartete die Nacht, um die Truppe an den Fluß zurückzutreiben, es gelang nicht. Man warf die Böcke mit Gewalt hinein, die Schafe machten keine Miene, ihnen zu folgen. Man versuchte die Heerde durch Durst zu zwingen, indem man ihr mehrere Tage das Wasser vorenthielt; sie trank nicht und ging dennoch nicht vorwärts. Man trug die Lämmer an’s andere Ufer, in der Hoffnung, daß die Mütter auf ihr Geschrei nachkommen würden; die Lämmer blökten und die Mütter rührten sich nicht am jenseitigen Ufer. Dies dauerte manchmal einen Monat, und der Stockeeper wußte nicht mehr was er mit seiner brüllenden, wiehernden, blökenden Armee machen sollte. Dann plötzlich, eines Tages, ohne Grund, aus Laune, man weiß nicht wie, durchschwimmt eine Abtheilung den Fluß, und jetzt entstand eine neue Schwierigkeit, die Heerde zu verhindern, sich in Unordnung hineinzustürzen. Die Verwirrung reißt in ihre Reihen ein, und viele Thiere kommen in den Stromschnellen um.
Solche Einzelheiten hatte Sam Machell mitzutheilen. Während seiner Erzählung war ein großer Theil seiner Heerde in guter Ordnung vorbeigezogen. Es war Zeit, daß er sich an die Spitze seines Heeres begab, um die besten Weideplätze auszuwählen. Er verabschiedete sich also von Lord Glenarvan, bestieg ein ausgezeichnetes eingeborenes Pferd, welches einer der Männer am Zügel gehalten hatte, und bot Allen mit herzlichen Händedrücken Lebewohl. Nach einigen Augenblicken war er in einer Staubwolke verschwunden.
Der Wagen setzte in entgegengesetzter Richtung seine kurze Zeit unterbrochene Fahrt fort und hielt erst Abends am Fuß des Talbotberges an.
Paganel machte die richtige Bemerkung, daß nun der 25. December sei, das von den englischen Familien so sehr gefeierte Christfest. Der Steward hatte es nicht vergessen, und ein erquickendes, unter dem Zelt aufgetragenes Abendessen trug ihm die aufrichtigen Lobsprüche der Theilnehmer ein.
Man muß gestehen, Herr Olbinett hatte sich wirklich selbst übertroffen. Seine Vorrathskammer hatte einen Beitrag europäischer Gerichte geliefert, welche man selten in den australischen Wüsten antrifft. Ein Rennthierschinken, Stücke eingepökelten Rindfleisches, geräucherter Lachs, ein Hafer-und Gerstenkuchen, Thee nach Belieben, Branntwein im Ueberfluß, einige Flaschen Portwein machten dies stattliche Mahl aus. Man glaubte sich in den großen Speisesaal von Malcolm-Castle, mitten in den Hochlanden Schottlands versetzt. Gewiß, Nichts fehlte bei diesem Fest, von der Ingwersuppe an bis zur Fleischpastete des Desserts. Indeß glaubte Paganel noch die Früchte eines wilden Orangenbaumes, der am Fuß des Hügels wuchs, hinzufügen zu müssen. Es war der »Maccaly« der Eingeborenen; seine Früchte waren ziemlich ungenießbar, aber seine zerdrückten Kerne brannten im Munde wie Cayennepfeffer.
Der Geograph war aus Liebe zur Wissenschaft darauf versessen, sie so gewissenhafter Weise zu essen, daß er sich den Gaumen verbrannte und nicht mehr auf die Fragen antworten konnte, mit denen ihn der Major über die Eigenthümlichkeiten der Wüsten Australiens bestürmte.
Am folgenden Tage, den 26. December, begab sich nichts Erzählenswerthes. Man traf auf die Quellen des Norton-Creek und später auf den halb eingetrockneten Mackenzie-Fluß. Das Wetter blieb anhaltend schön, bei erträglicher Hitze; der Wind kam aus Süden und erfrischte die Atmosphäre wie der Nordwind in der nördlichen Hemisphäre, worauf Paganel seinen Freund Robert Grant aufmerksam machte.
Der Reisewagen in bedenklicher Lage. (S. 355.)
»Ein glücklicher Umstand, fügte er hinzu, denn die Hitze ist durchschnittlich in der südlichen Hemisphäre viel größer als in der nördlichen.
– Und warum? fragte der Knabe.
– Warum? Robert, antwortete Paganel. Hast Du denn nie sagen hören, daß die Erde im Winter der Sonne viel näher ist?
– Ja wohl, Herr Paganel.
Ein Nachtlager im Walde. (S. 357.)
– Und daß die Winterkälte nur von den schrägen Sonnenstrahlen herrührt?
– Gewiß.
– Nun wohl, mein Junge, aus eben diesem Grunde ist es in der südlichen Hemisphäre wärmer.
– Das verstehe ich
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