Die Kinder des Kapitän Grant
Schelten vermischten sich mit dieser Pastoral-Symphonie. Ein Mann trat aus der lärmenden Masse hervor. Es war der Hauptanführer dieser vierfüßigen Armee. Glenarvan ging auf ihn zu, und es entspann sich ohne weiteres ein Gespräch. Der Führer oder »
Stockeeper
« war Besitzer eines Theiles der Heerde. Er hieß Sam Machell und kam in der That aus den Provinzen im Osten, um sich nach der Bai Portland zu begeben. Seine Heerde bestand aus 12,075 Stück, nämlich 1000 Ochsen, 11,000 Schafen und 75 Pferden. Alle diese Thiere, die in den Ebenen der Blauen Berge im magern Zustande angekauft worden waren, sollten auf den gesunden Weiden Süd-Australiens fett gemacht und dann mit großem Vortheil verkauft werden; denn Sam Machell gewann dabei zwei Pfund Sterling am Ochsen und ein halbes Pfund Sterling am Schaf. Es war also ein bedeutendes Geschäft! Aber welche Geduld, welche Energie, welche Kraft zur Ertragung der Anstrengungen gehörte dazu, diese störrische Heerde an ihren Bestimmungsort zu führen!
Sam Machell erzählte in wenig Worten seine Geschichte, während die Heerde ihren Zug zwischen den Mimosengebüschen fortsetzte. Lady Helena, Mary Grant und die Reiter waren abgestiegen und hatten sich in den Schatten eines großen Gummibaumes gesetzt, wo sie der Erzählung des Stockeepers zuhörten. Sam Machell war seit sieben Monaten unterwegs. Er machte ungefähr zehn Meilen täglich, und seine endlose Reise mußte noch drei Monate dauern. Um ihm bei seiner mühseligen Aufgabe zu helfen, hatte er zwanzig Hunde und dreißig Männer bei sich, unter denen sich fünf Schwarze befanden, die sehr geschickt waren, abirrende Thiere wieder aufzusuchen. Sechs Wagen folgten dem Heere. Treiber mit
stockneipps
, Peitschen mit achtzehn Zoll großen Stielen und neun Fuß langen Riemen bewaffnet, machten die Runde, um die oft gestörte Ordnung wiederherzustellen, während die leichte Cavallerie der Hunde um die Flügel des Heeres streifte.
Die Reisenden bewunderten die in der Heerde herrschende Ordnung. Die verschiedenen Racen gingen gesondert, denn wilde Ochsen und Schafe vertragen sich ziemlich schlecht; die ersteren wollen niemals dort weiden, wo die letzteren gezogen waren. Deshalb war es nöthig, die Ochsen an die Spitze zu stellen, und diese, in zwei Bataillone getheilt, marschirten voran. Dann folgten fünf Regimenter Schafe, commandirt von zwanzig Führern, und die kleine Schwadron der Pferde bildete den Nachtrab.
Sam Machell machte seine Zuhörer darauf aufmerksam, daß die Leiter der Armee weder Hunde noch Männer seien, sondern Ochsen, kluge »Leitochsen«, deren Ueberlegenheit von ihren Stammesgenossen anerkannt wird.
Sie wandelten mit größter Würde voran, instinctmäßig den besten Weg einschlagend, und sehr bewußt ihres Rechtes, rücksichtsvoll behandeit zu werden. Man schonte sie auch, denn die Heerde folgte ihnen ohne Widerstand. Wenn es ihnen beliebte anzuhalten, mußte man ihnen nachgeben, und vergeblich hätte man den Marsch fortsetzen wollen, wenn sie nicht das Zeichen zum Aufbruch gegeben. So lange das Heer in der Ebene einherzog, war es gut, da gab es wenig Verwirrung, wenig Strapazen. Die Thiere weideten auf dem Wege, tränkten sich an den zahlreichen Flüßchen der Weideplätze, schliefen des Nachts, wanderten am Tage und sammelten sich friedlich auf den Ruf der Hunde. Aber in den großen Wäldern des Festlandes, durch die Eucalypten-und Mimosengebüsche hindurch, gab es schon mehr Schwierigkeiten. Schwadronen, Bataillone und Regimenter mischten sich durch einander, oder kamen von einander ab, und man brauchte lange Zeit, sie wieder zusammenzutreiben. Wenn unglücklicherweise ein Leitochse sich verirrte, mußte man ihn um jeden Preis wiedersinden, wollte man die Gefahr einer allgemeinen Unordnung vermeiden, und oft brauchten die Schwarzen mehrere Tage zu diesen schwierigen Nachforschungen. Wenn starker Regen fiel, so weigerten sich die trägen Thiere vorwärts zu gehen, und bei heftigen Gewittern bemächtigte sich eine Panik voll Verwirrung der vor Schrecken toll gewordenen Thiere.
Doch der Stockeeper überwand durch Willenskraft und Thätigkeit diese stets wiederkehrenden Schwierigkeiten. Er zog immer weiter Meile für Meile; ließ Ebenen, Wälder und Berge hinter sich. Aber neben so vielen vorzüglichen Fähigkeiten war der große Vorzug der Geduld erforderlich. Einer standhaften Geduld, nicht allein für Stunden, Tage, sondern für Wochen, bedurfte es beim Uebergang über Flüsse. Hier sah sich der
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