Die Kinder des Ketzers
Wir waren nicht die Drahtzieher, wir waren nur Werkzeuge in den Händen der Gier. Eine Generation, verkauft für ein paar Silberlinge, ein Volk für ein paar Morgen Land. Aber es wird Gerechtigkeit geschehen, dafür sorge ich. Punkt.» Er hob den Kopf und betrachtete Petri aus seinen hellen, arglosen Kinderaugen. Ein altes Prinzip, dachte Petri – wirf dem anderen ein bisschen Offenheit entgegen wie einem Hund den Knochen, und warte darauf, dass er zuschnappt. – «Habt Ihr eine Vorstellung, wovon er spricht?», fragte Ingelfinger freundlich.
Petri knetete seine Hände. So leicht kriegst du mich nicht, Protestant. «Spricht doch für sich, das ganze, oder?», murmelte er.
«Oder hattet Ihr damals nicht das Gefühl, dass wir bei der ganzen Angelegenheit nichts als unbedarfte Zuschauer in einem Marionettentheater waren?»
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«Allerdings. Und seit dieser Zeit frage ich mich, wer damals an den Fäden gezogen hat. Ihr nicht, Herr Petri?» Ingelfinger lächelte sanft. Petri fühlte, wie sein Mund trocken wurde. Es war ein Verhör, und der es führte, war der Leiter der Amtei, in dessen Händen die Macht lag, ihm jederzeit das Genick zu brechen. «Zumal», fuhr Ingelfinger fort, «ich das Gefühl habe, dass dieser jemand im Besitz einer nicht mehr ganz jungfräulichen Zwanzig-Zoll-Klinge ist.»
Heftig schüttelte Petri den Kopf, zu heftig, wie er selbst bemerkte. «Es war ein Raubmord, mehr nicht. Pech für Trostett. Ich trauere ehrlich um ihn, er war ein guter Mann und ein guter…» – Katholik hätte er beinahe gesagt – «… Christ. Aber mehr können wir, denke ich, nicht für ihn tun. Ihr habt die weite Reise offensichtlich umsonst gemacht.»
«Ja, offensichtlich. Schade.» Mit einem leichten Seufzer faltete Ingelfinger das Schreiben zusammen. «Nun ja, vielleicht ist es besser so – für Trostett. Denn schließlich…» Er unterbrach sich, schüttelte wie gedankenverloren den Kopf.
«Was, schließlich?» Petris Augen waren misstrauisch zusammengekniffen. Er registrierte selbst mit einem Gefühl der Erniedrigung, dass die Panik ihm Fragen in den Mund legte, derer ein blutiger Anfänger sich hätte schämen müssen, aber es war nun mal kein angenehmes Gefühl, den Hals in einer Schlinge zu haben, die ein Protestant in Händen hielt und langsam zuzog.
«Nun, bedenkt die Unregelmäßigkeiten, die zu Trostetts Zeiten gelegentlich vorgekommen sind», sagte Ingelfinger unschuldig.
«Wir haben damals natürlich gesammelt und verwahrt, was wir fanden… Die Sachen stauben wohl noch in irgendwelchen Sekretären vor sich hin, aber es ist natürlich eine Frage der Zeit, bis diese Dinge ans Licht kommen… Die Schande hätte den armen Herrn Trostett wohl umgebracht!» Er seufzte mit einem dramatisch-sentimentalen Augenaufschlag. «Das waren Zeiten damals, Petri, nicht wahr? Wir waren jung und abenteuerlustig und hassten einander wie Luzifer und die Erzengel. – Ihr habt damals eng mit Trostett zusammengearbeitet, war es nicht so?»
Petri saß stumm, die Hände um den Becher gekrampft, dass seine Knöchel weiß wurden wie Löschkalk. Er saß noch immer so, als Ingelfinger sich mit einer angedeuteten Verbeugung erhob und 226
den Becher auf dem Tisch abstellte. «Danke für die Informationen
– und für den Wein», sagte er sanft. «Wir hören voneinander.»
Dann drehte er sich um und ging mit leichtfüßigen, fast jugendlich wirkenden Schritten auf die Tür zu.
Er hatte die Klinke bereits heruntergedrückt als Petri sich räusperte. Ingelfinger drehte sich um und sah in Petris speigrünes Gesicht, in dem die Nase sich kräuselte und wand wie die arme Seele im Fegefeuer. «Er war einmal da», krächzte Petri. «Er hat mich ausgequetscht über die Ereignisse hier, nachdem er damals die Provincia verlassen hat. Ich habe ihm erzählt, was ich wusste, ist ja klar. Da wurde er plötzlich ganz konfus und fing an, in irgendwelchen alten Akten ‘rumzusuchen.» Er rang nach Luft. «Mehr weiß ich nicht, ehrlich.»
«Danke für die Auskunft. Ich sehe schon, unsere Zusammenarbeit ist äußerst fruchtbar, Herr Petri», sagte Ingelfinger grinsend. «Wir sollten uns vielleicht einmal zusammensetzen und unsere Erfahrungen austauschen – als alte Hasen des Geschäfts. Zum Beispiel», sagte er, und Petri wartete fast darauf, dass er sich den Schnurrbart leckte wie ein satter alter Kater, «bezüglich 1545. Ade.» Und er ging aus dem Raum.
Petri stand langsam auf, ging zum Schrank, entnahm ihm einen Bocksbeutel, füllte den
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