Die Kinder des Ketzers
Protestant war. Religionsfrieden hin oder her, dass die Kerle sich jetzt überall als Leithammel aufspielten, war wirklich das Letzte!
«Darf ich fragen, was Euch zu mir geführt hat, Herr Im…
In…»
«Ingelfinger», ergänzte der andere zuvorkommend. Wie auch Petri bemühte er sich redlich um die Prager Verkehrssprache, doch der süddeutsche Akzent war ebenso unverkennbar wie Petris Platt.
«Ihr seid Schwabe?», fragte Petri und nickte dem eintreffenden Diener zu, das Glas vor Ingelfinger auf den Schreibtisch zu stellen.
«Hohenloher», verbesserte der andere lächelnd. «Aus Schwäbisch Hall, um genau zu sein.»
Ein Reichsstädter, natürlich, das passte mal wieder! Aufrührerisches Gesocks, das den Fürsten den Respekt verweigert. Wenn es etwas Schlimmeres gab als Protestanten, dann protestantische Reichsstädter! «Nun denn, was führt Euch hierher? Ich wüsste 223
nicht, dass bei uns irgendwelche Unregelmäßigkeiten aufgetreten wären…»
«Oh, keine Sorge, das ist kein Kontrollbesuch.» Ingelfinger lachte und entblößte dabei eine lückenlose Zahnreihe. «Ich bin… rein privat hier. Schließlich ist soeben ein langjähriger Mitarbeiter der Amtei nicht unweit dieser Stadt etwas unsanft aus dem Leben geschieden – es ist wohl ein Gebot des Anstandes und der christlichen Nächstenliebe, sich als der zuständige Vorgesetzte über die näheren Umstände seines Ablebens in Kenntnis zu setzen…»
Heilige Maria Mutter Gottes, dieser Dialekt zieht einem die Schuhe aus! «Und deswegen seid Ihr extra von Lyon hierher gekommen?», fragte Petri mit verzogenem Gesicht.
«Nun – er war einer unserer besten Männer», meinte Ingelfinger unschuldig und nahm einen Schluck aus seinem Becher. «Sehr gut, der Wein. Wo bezieht Ihr ihn?»
Einer unserer besten Männer, von wegen – du hast ihn gehasst wie die Pest! «Criant – ein Weinhändler nahe der Bäder… Ich denke dennoch, dass sich der Weg nicht gelohnt hat. Trostett ist offensichtlich einem Raubmord zum Opfer gefallen. Ausnahmsweise haben die Franzacken nicht die Hand im Spiel.»
«Wer sagt das?», fragte Ingelfinger.
Aha, Anstandsbesuch, von wegen! Wenn du denkst, ich merke nicht, dass das hier ein verdammtes Verhör ist, dann hast du dich getäuscht! «Oh, der Viguié…», sagte Petri mit säuerlichem Gesicht. «Offensichtlich fehlte Trostetts Geldbörse. Im Übrigen geht das Gerücht um, der Mord an Trostett gehe auf das Konto der Antonius-Jünger.»
Das hatte gesessen. Über Ingelfingers heiteres Gesicht schlitterte der Schatten einer nahenden Sintflut, und seine Stimme klang zwar immer noch unerträglich süddeutsch, aber wenigstens ihre nervenaufreibende Gelassenheit hatte sich ein wenig verloren.
«Wie bitte?», fragte er rauh.
Tja, das überrascht dich, Lutheranerschwein. «Nun, die Leute, die ihn gefunden haben, behaupten zumindest, auf seinem Sattel stand Santonou geschrieben, mit Blut auch noch.» Petri lachte kehlig.
«Wer waren diese Leute?», fragte Ingelfinger nachdenklich. 224
«Ein paar Reisende auf dem Weg nach Ais.» Petri zuckte mit den Achseln und suchte interesselos in seinen Notizen herum. «Hier…
Philomenus Breix, Senher d’Auban, wohnhaft in der Carriero de Jouque. Ein unbedeutender, harmloser Landjunker, ich bin der Sache daher auch nicht mehr weiter nachgegangen.»
«Hm…» Ingelfinger sah gedankenverloren auf den letzten Rest Wein in seinem Glas. «Hattet Ihr in letzter Zeit nicht auch das Gefühl, dass Trostett sich seltsam verhielt? Er hat mir ein paar Berichte zugeschickt, die alles andere als typisch für ihn waren.»
Und wenn, glaubst du, ich erzähle es ausgerechnet einem Ketzer wie dir? «Um genau zu sein, habe ich Trostett, seit er wieder in Ais war, kaum gesehen – und nie lange genug, dass mir irgendwelche Seltsamkeiten auffallen konnten», sagte Petri bissig.
«Ihr hattet nicht das Gefühl, dass er an etwas dran war – abgesehen von seinem Auftrag, meine ich?» Ingelfinger betrachtete Petri prüfend über den Rand seines Weinglases, und als dieser nicht antwortete, fügte er hinzu: «Er hat mir einen Brief geschrieben, nach Lyon, nur wenige Tage vor seinem Tod. Eine Art Abrechnung, würde ich es nennen. Wollt Ihr ihn lesen?» Er wartete einen Moment, doch da Petri keine Reaktion zeigte, griff er in sein Wams und zog ein zusammengefaltetes Pergament hervor, das er langsam auseinanderfaltete. «Er schreibt hier: Alles war eine Farce, ein Spiel, das sie getrieben haben, mit uns genauso wie mit Euch.
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