Die Kinder des Ketzers
heißen, was er an Ingelfinger geschrieben hat – ‹Eine Generation, verkauft um ein paar Silberlinge, ein Volk um ein paar Morgen Land›?»
«Ein paar Silberlinge. Freund Trostett, der Symboliker. Um dreißig Silberlinge wurde Jesus verkauft.» Bruder Antonius nickte langsam.
«Das alte Verratsthema also, und Trostett ist der, der für Gerechtigkeit sorgt, das kennen wir ja bereits. Aber worum es letztlich 229
geht, verrät er wieder nicht. Und der Rest…», Fabiou trommelte mit den Fersen auf den warmen Erdboden, «‹wir waren Werkzeuge der Gier, mit uns wurde ein Spiel getrieben› und – Zitat Petri – ‹wir waren Zuschauer in einem Marionettentheater.› Was in aller Welt meint er damit?»
«Wer weiß… vielleicht war es eine Art Handelskrieg», sagte Bruder Antonius achselzuckend. «Vielleicht haben die einheimischen Kaufleute versucht, sie aus Ais draußen zu halten.»
«Ein Handelskrieg?» Fabiou sah ihn erstaunt an. «Trostett spricht von Toten!»
«Fabiou, ich zweifle nicht daran, dass ein ehrgeiziger Kaufmann zur Vermehrung seines Besitzes bereit ist, einen gedungenen Mörder auf einen unliebsamen Konkurrenten anzusetzen», meinte Bruder Antonius ungerührt. «Überhaupt wissen wir gar nicht, ob Trostett wirklich Tote meinte. Er könnte dies ebenfalls symbolisch gemeint haben.»
«Na, zumindest er selbst ist mehr als symbolisch tot», entgegnete Fabiou zynisch. «Und? Was machen wir jetzt weiter?»
«Petri und Ingelfinger schienen nicht sehr gerne über dieses Thema zu reden, nicht mal miteinander», stellte Bruder Antonius fest. «Ich bezweifle, dass es Sinn macht, uns einen Termin im Juli geben zu lassen.»
«Sie wissen, wer wir sind und wo wir wohnen», stellte Fabiou fest. «Vielleicht nehmen sie ja Kontakt mit uns auf.»
Bruder Antonius zuckte mit den Achseln.
«Immerhin – wir wissen jetzt, dass auch Petri die Sache den Antonius-Jüngern ankreidet», überlegte Fabiou. «Vielleicht sollten wir diese Spur doch etwas weiter verfolgen.» Er schwieg einen Moment, die Stirn angestrengt gerunzelt. «Es müsste doch offizielle Aufzeichnungen zu dem Thema geben», meinte er dann.
«Schließlich haben die Antonius-Jünger doch über Jahre hinweg die hiesige Justiz beschäftigt. Da muss es doch Unterlagen geben, Gerichtsprotokolle…»
Bruder Antonius lachte trocken. «Und du glaubst, die könntest du, der kleine Fabiou de Bèufort, so ohne weiteres einsehen? So viel Schmiergeld, wie du da zahlen müsstest, hat dein Stiefvater sicher nicht im Geldbeutel.»
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«Hm…» Fabiou starrte nachdenklich auf die verwitternden Grabsteine. Dann fuhr er plötzlich auf. «Wart mal – du hast mir doch mal von diesen Annalen von Galaud erzählt! Da muss doch etwas dazu drinstehen, oder?» Galaud war ein ehemaliger Konsul gewesen, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, eine Art fortlaufendes Jahrbuch der Stadt anzulegen, auf Latein auch noch, da er von «dieser Modeerscheinung, Französisch zu schreiben», nicht allzu viel hielt. Er hatte dazu einen nicht sonderlich begabten Stadtschreiber abgestellt, der brav alles niederpinselte, was Galaud ihm in die Feder diktierte. Nach Galauds Ableben war die Sache schnell eingeschlafen, so dass die «Annalen» nur den kümmerlichen Zeitraum von 1532 bis 1550 umfassten. Antonius zuckte erneut mit den Achseln. «Möglich», murmelte er.«Kannmandienichtirgendwoeinsehen,dieAnnalen?»
«Hm. Ja. Wahrscheinlich.»
«Und wo?»
«Hm. Weiß nicht so recht. Ich habe gehört, die Stadt hat sie an die Universitätsbibliothek gegeben.» Bruder Antonius schien diese Angelegenheit nicht weiter interessant zu finden, er sah abwesend einer Schwalbe zu, die über dem Friedhof ihre Kreise zog.
«Meinst du, die lassen mich da mal einen Blick ‘reinwerfen?», fragte Fabiou aufgeregt.
«Weiß nicht. Du bist schließlich kein Student.» Bruder Antonius stand hastig auf. «Ich muss jetzt gehen, ich bin schon zu spät für die Vesper!»
Sie verabschiedeten sich vor dem Konvent. Fabiou machte sich auf den Rückweg, schlenderte durch die belebten Straßen der Stadt, schnupperte den Duft von Wärme und Fäulnis und Gebratenem, lauschte dem Zwitschern der Vögel, dem Klappern der Sandalen auf dem Pflaster, dem Fluchen der Kutscher an den Wegkreuzungen, wo der Verkehr sich staute. Er versuchte, Worte für all das zu finden, Verse, Reime, doch alles was ihm in den Sinn kam, war ein Sammelsurium an Farben und Formen ohne Sinn und Ordnung, und in jeden Vers, der aus einer Gasse
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