Die Kinder des Ketzers
spontan an einen Raubvogel denken, einen Adler zum Beispiel. Na, vielleicht doch eher an einen Geier.
«Ich bin Alois Dräger, Buchhalter von Herrn Petri», sagte er in exzellentem Französisch. «Wie kann ich Euch behilflich sein?» Er musterte zuerst Fabiou und dann Bruder Antonius mit einem abschätzigen Blick.
«Wir hätten gerne Herrn Petri gesprochen – persönlich», meinte Bruder Antonius.
«Es tut mir leid, Euch das sagen zu müssen, aber Herr Petri ist sehr beschäftigt und empfängt nur angemeldete Besucher.» Der Tonfall in seiner Stimme ließ nicht gerade auf allzu großes Bedauern schließen. Schwer zu sagen, ob er katholisch war – auf jeden Fall war in seinen Augen eine Mönchskutte kein Argument, Herrn Petri bei der Arbeit zu stören
«Vielleicht hat Herr Petri an einem anderen Tag Zeit für uns?», fragte Bruder Antonius höflich.
«Einen Termin könnte ich Euch frühestens Mitte Juli geben», erklärte der Buchhalter eisig. «Herr Petri ist ein vielbeschäftigter Mann.»
«Könnte man denn keine Ausnahme machen?», fragte Fabiou hoffnungsvoll. «Es wird nicht lange dauern, wirklich nicht!»
«Ich sagte bereits…», die Raubvogelaugen nahmen etwas Mörderisches an, «… Herr Petri ist sehr beschäftigt!»
221
Fragend blickte Fabiou zu Bruder Antonius hinüber, doch der schüttelte nur resigniert den Kopf. An Herrn Dräger war kein Vorbeikommen.
Der Raubvogel zog an einer Klingel, und ein Diener erschien.
«Jakob, geleite die Herrschaften bitte zur Tür», wies er ihn an.
«Danke», sagte Fabiou. «Wir finden schon selbst hinaus.»
Als der Diener die Tür öffnete, um sie aus dem Raum zu lassen, rempelte er beinahe mit einem zweiten zusammen, der einen weiteren Besucher im Schlepptau hatte, ein Mann mittleren Alters, dessen spitzbübisches Grinsen ihn sicher deutlich jünger wirken ließ, als er in der Tat war. «Grüß Gott, mein Name ist Ingelfinger, Peter Ingelfinger», sagte er, während er in den Raum trat. «Ich möchte Herrn Petri sprechen.»
Bin mal gespannt, ob der einen Termin hat, dachte Fabiou, als er durch die Tür schritt, und schon war das Gezeter des Raubvogels zu hören: «Es tut mir leid, Herr Petri ist sehr beschäftigt und kann niemanden empfangen.»
«Oh, ich denke, mich wird Herr Petri sehr wohl empfangen», meinte der Fremde spöttisch. Und in der Sekunde, bevor die Tür zwischen ihm und dem Innenraum zuschlug, hörte Fabiou ihn sagen: «Sagt Herrn Petri einfach, es gehe um Mèstre Trostett.»
Starr stand Fabiou im Dunkel des Korridors und lauschte dem Echo dieser Worte in seinen Ohren. «Antonius…», krächzte er dann.
Antonius starrte mit geweiteten Augen ins Leere. Dann, schließlich, wandte sich sein Blick Fabiou zu. «Du gehst jetzt ganz langsam zum Eingang und verlässt dieses Haus, hast du gehört? Ich werde sehen, was ich herausfinden kann.» Und bevor Fabiou irgendetwas entgegnen konnte, war er in den Schatten geglitten, und Fabiou konnte ihn weder mit Augen noch mit Ohren mehr ausmachen. Er kannte Bruder Antonius’ Fähigkeit, sich absolut unsicht-und unhörbar fortzubewegen. Dennoch fühlte sich Fabiou alles andere als wohl, als er die Treppe hinunterstieg und dem Ausgang zulief. Immerhin lief hier irgendwo jemand herum, der seinen Mitmenschen Dolche ins Herz stieß. Und das war nun doch ein Grund zur Sorge.
***
222
«Ingelfinger, Peter Ingelfinger», stellte der hellhaarige Fremde sich vor und nahm in dem Sessel gegenüber des großen Schreibtischs Platz, den der andere ihm anbot.
Petri war ein vierschrötiger Mann um die fünfzig, mit schütterem blonden Haar, das in wirren Strähnen seinen Kopf bedeckte. Er ging um seinen Schreibtisch herum, griff nach dem Glas, das dort stand, setzte es an seine Lippen, besann sich dann doch seiner guten Erziehung und fragte: «Kann ich Euch etwas anbieten? Weißwein, Rotwein, Branntwein? Etwas anderes gibt es bei den Franzacken ja nicht, das Bier hier ist schlichtweg ungenießbar. Könnte Euch höchstens noch einen feinen Obstschnaps aus der Heimat anbieten, wie wär’s?»
Der Hellhaarige bedankte sich höflich und meinte, Rotwein wäre durchaus in Ordnung.
Während er nach dem Diener rief, dem Besucher ein Glas Wein zu bringen, betrachtete Petri ihn verstohlen. Das also war der neue Leiter der Amtei für Frankreich. Fast ein bisschen jung für so einen Posten, hätte einem Mann wie Trostett, der sich dreißig Jahre in diesem Geschäft ins Zeug gelegt hatte, besser angestanden. Zumal der Kerl ja
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