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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Loís von diesem Tag an sein Lebensretter, dem er Dank schuldete bis zum Tod oder eben bis zu dem Moment, wo es ihm gelingen sollte, diese Schuld zurückzuzahlen. Zu dramatischen Ereignissen dieser Art war es seitdem nicht mehr gekommen. Doch ihre Beziehung ging seit jenem Tag weit über das hinaus, was einen Herrn sonst mit seinem Diener verband, und war zu einer wahrhaftigen Freundschaft geworden – den Meckereien der Dame Castelblanc zum Trotz, die darauf hinwies, dass allzu große Nähe zu niederen Schichten heutzutage nicht mehr angemessen sei. Frederi sah es nicht so eng. «In meiner Jugend noch war es üblich, auf die Dorffeste zu gehen und mit den Bauern zu feiern, und heute schreit alles, das ist unter unserem Stand. Das sind diese französischen Sitten, die da bei uns einreißen», sagte Frederi, «und ich denke doch gar nicht daran, mich davon beeinflussen zu lassen.»
    Loís war es schließlich auch, der nach mehrtägigem Suchen strahlend zu Fabiou in die Carriero de Jouque heimkehrte, mit der Nachricht, dass ein deutscher Kaufmann mit Namen Petri sein Geschäft in der Carriero Four dou Temple hatte. Fabiou hielt es für sinnvoll, erst zu denken und dann zu handeln. Es war fraglich, ob ein fremdländischer Kaufmann einem fünfzehnjährigen Jungen allzu bereitwillig Auskunft geben würde, auch wenn der mit einem beeindruckenden Adelstitel aufwartete. Frederi um Hilfe zu bitten, war aussichtslos, er würde dies sicher nur wieder als Anmaßung gegenüber Erwachsenen werten, und Onkel Philomenus kam natürlich sowieso nicht in Frage. Blieb eigentlich nur einer.
    219
    Bruder Antonius kam gerade aus dem Studierzimmer, einen abgrundtief verzweifelten Frederi Jùli mit den Tücken des lateinischen Partizips Perfekt Passiv zurücklassend, als Fabiou ihm in den Weg trat. «Du musst mir helfen!» zischelte er. «Ich habe Petri gefunden!»
    Antonius packte ihn am Arm. «Im Ernst?»
    «Carriero Four dou Temple.» Fabiou grinste. «Wann hast du Zeit?»
    «Am besten gleich», meinte Bruder Antonius.
    In der Carriero Four dou Temple war nicht allzu viel los, als sie dort eintrafen, noch ließ sich keine der Damen sehen, die nach Einbruch der Dunkelheit hier herumzuhängen und den Herren tiefen Einblick in ihr Mieder und in sonstige Geheimnisse ihres Körpers zu gewähren pflegten, ein Umstand, der der Straße im Volksmund den Namen Carriero dis Peitraous – Straße der Brüste – eingetragen hatte. Trotz der Nähe zu jenen gewissen Häusern war es durchaus eine ehrbare Wohngegend, wie die ansehnlichen Hôtels zu beiden Seiten verrieten.
    Es war ein neues Haus im italienischen Stil, mit Ziersäulen entlang der Fassade und einer dunklen, messingbeschlagenen Kassettentür, direkt neben dem Domizil der Familie Vare gelegen. Neben der Tür war ein Messingschild angebracht, in das ein fremdartig anmutender Schriftzug eingraviert war. Der Türklopfer war in Form eines Raubvogels mit ausgebreiteten Schwingen gehalten, und kaum, dass Bruder Antonius ihn betätigte, waren auch schon eilige Schritte auf dem Gang zu hören, und die Tür wurde geöffnet. Ein Diener in dunkler Kleidung streckte seinen Kopf zur Tür heraus. «Ja, bitte?», fragte er. Seine Aussprache klang hart und fremdländisch.
    «Entschuldigt bitte die Störung», sagte Bruder Antonius in fließendem Deutsch. «Wir hätten gerne Herrn Petri gesprochen. Ist das möglich?»
    Der Diener war offensichtlich gut katholisch, denn er betrachtete Bruder Antonius voller Ehrfurcht. «Tretet ein», sagte er. «Ich werde Euch ankündigen.»
    Das Gebäude stand an Prunk und Weiträumigkeit in keiner Hinsicht den Häusern der Adligen, die Fabiou kannte, nach. Der Boden 220
    war mit einem Läufer aus Leinenstramin mit golddurchwirkten Seidenstickereien ausgelegt, die Mauern überspannten Seidentapeten im italienischen Pilaster-Muster mit zierlichen Reben-und Akanthus-Ornamenten verziert. Man geleitete sie in einen Warteraum mit bequemen, samtüberspannten Sesseln, und der Diener eilte, ihnen etwas Eiswasser zu bringen. Bruder Antonius inspizierte die Gemälde an den Wänden mit gerunzelter Stirn. «Das ist zwar nicht gerade Michelangelo», meinte er, «aber ich denke, man kann trotzdem vermuten, dass die Geschäfte des Herrn Petri nicht allzu schlecht laufen.»
    Hinter ihnen öffnete sich eine Tür, und ein hochgewachsener älterer Herr in einem langen dunklen Gewand betrat den Raum. Die kalten, scharfen Augen unter dem hohen Stirnansatz und die gebogene Nase ließen Fabiou

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