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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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aufdrängte. Dieselben wurden seit Jahrzehnten alljährlich im Mai abgehalten und hatten einen Ruf, der sogar über die Grenzen von Ais hinausdrang und Gäste von Arle, Toulouse und gelegentlich sogar Marsiho anzog. Was nicht bedeutete, dass etwa kommen konnte, wer wollte. Die Mancoun hatten einen Ruf zu wahren und wählten ihre Gäste sorgfältig aus; wer nicht altem, traditionsreichem Adel entsprang, musste entweder einen einflussreichen Posten in Stadt, Staat oder Kirche oder zumindest eine dicke Geldbörse vorweisen können. Einladungen waren infolgedessen begehrt; sie zeigten, dass man dazugehörte, und sie eröffneten die Möglichkeit, Kontakte mit hohen Persönlichkeiten aller Art zu schließen, eine aparte Mischung aus Heiratsmarkt und Karrierebörse der lokalen Oberschicht. Besonderen Reiz gewannen jene Veranstaltungen dann auch durch die regelmäßige Anwesenheit hochgestellter Persönlichkeiten. Unter den Gästen befanden sich stets die Konsuln und die Präsidenten des Parlaments, ebenso der königliche Intendant, der päpstliche Nuntius und der Bischof von Sant Sauvaire. Daneben waren oft Mitglieder des königlichen Hofes anwesend, die so funkelnde Namen wie Montmorency und Guise trugen und mit Titeln wie Duc oder Prince protzen konnten. Einmal, vor 25 Jahren ungefähr, hatte sich sogar König François auf der Reise durch die südlichen Provinzen selbst die Ehre gegeben, und er war, wie man heute noch erzählte, sehr angetan gewesen.
    Ganz so erlauchte Gäste waren dieses Jahr freilich nicht zu erwarten, zwar waren Mitglieder einer königlichen Familie geladen, aber nicht die von Frankreich, sondern nur die von Navarra, die sich auf der Reise nach dem Piemont befanden, aber immerhin. Es hatte im Vorfeld einiges an Gerede gegeben, schließlich trugen sich die Béarner seit einiger Zeit zunehmend mit dem Gedanken, zum Protestantismus überzutreten, und in Ais, wo man noch dem rechten Glauben anhing und Protestanten eigentlich nur an der Pinie auf der Plaço dis Jacobin aufgeknüpft sehen wollte, kam es einem mittleren Skandal gleich, sich mit Gesinnungsgenossen dieses ket234
    zerischen Abschaums abzugeben. Dennoch, eine Königin blieb eine Königin, auch wenn sie mit dem calvinistischen Irrglauben liebäugelte, und schließlich war die Navarra ja eine Cousine des Königs von Frankreich, zu dem sie gute Beziehungen unterhielt, so dass es schon aus diesem Grund undenkbar war, sie nicht einzuladen. Madaleno de Castelblanc hatte fest mit einer Einladung gerechnet
    – die Castelblancs waren zwar armer, aber alter Adel, die Bèuforts sogar uralter, so dass die Tatsache, dass der erste Senher d’Auban erst vor hundert Jahren in den Adelsstand erhoben worden war, nicht mehr groß ins Gewicht fiel. Dennoch schlug sie drei Kreuze vor Erleichterung, als endlich ein Bote in der Carriero de Jouque eintraf und der Familie eine schriftliche Einladung überreichte –
    zwar nur zu den Zerstreuungen und Tanzvergnügungen des Nachmittags und Abends, das mittägliche Festmahl war einer erlesenen Schar hochwohlgeborener Gäste vorbehalten, aber immerhin. «Das ist die Chance!», plapperte sie aufgekratzt ihren Töchtern vor. «Wer weiß, vielleicht interessiert sich ein französischer Comte für euch. Oder gar ein Duc !»
    «Du würdest deine Töchter deinem Glauben zum Trotz sogar an die Béarnerin verschachern, wenn sie einen Sohn im heiratsfähigen Alter hätte, nicht wahr?», sagte Oma Felicitas mit einem maliziösen Lächeln.
    «Was redet Ihr da!», fauchte die Dame Castelblanc. «Ich bin eine gläubige Tochter der katholischen Kirche.»
    Die Großmutter tänzelte mit einer ihrem Gelenkreißen spottenden Eleganz aus dem Raum.
    «Je vende mon cheval,
    je vende mes souliers,
    je vende même ma foi
    pour une voile de mariée»,
    «Ich verkaufe mein Pferd,
    ich verkaufe meine Stiefel,
    ich verkaufe sogar meinen Glauben
    für einen Brautschleier»,
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    sang sie laut und falsch. Es war ein Kinderreim, den die Mädchen früher oft im Spiel zum Abzählen verwendet hatten, freilich etwas modifiziert, im Original hieß es «je vende mes bijous pour une voile de mariée – ich verkaufe meinen Schmuck für einen Brautschleier». Die Dame Castelblanc bekam infolge dieses Reims einen hochroten Kopf und rannte Oma Felicitas hinterdrein, wobei sie brüllte, dass ihre Mutter eine hässliche alte Hexe sei, und Oma Felicitas schrie etwas ähnlich Freundliches zurück, und danach keiften sie sich vor der Tür noch lange an, zur

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