Die Kinder des Saturn
wird bewusst, dass ich schon eine Weile nichts mehr von ihr gehört habe. Ich sehe im Speicher nach: schon seit mehr als sechshundert Erdtagen nicht, um genau zu sein. Was seltsam ist, denn normalerweise tauschen wir etwa alle fünfzig Tage Nachrichten aus.
Ich rufe das letzte Update ihres Porträts auf: Sie ist ein honigblondes Modell mit einer langen, dichten Haarmähne, symmetrischen hohen Wangenknochen, braunen Augen, der leichten Andeutung einer Mongolenfalte und einer schwach metallisch schimmernden Haut – als Schönheitsideal genauso perfekt und veraltet wie wir alle. Doch auf diesem Bild wirkt sie leicht besorgt; es spiegelt Emotionen wider, die sie auch in ihrer Mitteilung angedeutet hat. »Freya? Ich hoffe, es geht dir gut. Kannst du dich bei mir melden? Ich habe ein Problem und könnte deine Hilfe und deinen Rat brauchen. Tschüss.«
Ich lasse das Bild die Botschaft wiederholen und werde immer weniger daraus schlau. Nach all der Zeit nur sechsundzwanzig Wörter? Ich bin drauf und dran, ihr genau das in meiner Antwort zu sagen, doch dann überprüfe ich den Router und sehe, dass sie die Mail über die zentrale Poststelle von Highport auf Eris an mich abgeschickt hat. Sofort legt sich mein Ärger, denn somit ist plausibel, dass sie sich kurz fassen muss. Allerdings gibt mir ihr Aufenthaltsort Rätsel auf. Was macht sie da draußen? Eris liegt
weit außerhalb unseres Systems, ist fast doppelt so weit entfernt wie Pluto. Acht Lichtstunden! Das ist für eine von uns eine weite Reise. Normalerweise wagen wir uns nicht ins tiefe Dunkel hinaus; dort gibt es auch nichts, was für uns von Interesse wäre. Emma, ich und ein paar andere stellen mit unserer Bereitschaft, von einem Planeten zum anderen zu reisen, solange wir an irgendeinem zivilisierten Ort ankommen, die große Ausnahme dar. Keine Sippe ist wie die andere, und Rheas Kopien neigen dazu, von der Vorlage schneller und weiter abzuweichen als üblich. (Das passiert, wenn die Spezifikationen überholt sind und das Original, die Matriarchin, nicht mehr existiert.) Doch bei uns allen ist die Schwäche für Zentren der Zivilisation ausgeprägt.
Als ich das letzte Mal von Emma hörte, befand sie sich auf Kallisto, arbeitete als Reiseführerin und begleitete Skitouren durchs vereiste Hinterland. Eigentlich sollte es mich nicht weiter überraschen, dass sie in einer der Verbotenen Städte gelandet ist, und die ausgedehnte Übertragungszeit könnte ihr langes Schweigen erklären. Und trotzdem …
»Emma, ich gehe bald von hier fort. Was kann ich für dich tun?« Ich halte die Rückmeldung kurz, übermittle sie dem Postamt und bemühe mich, nicht zusammenzuzucken, als ich höre, wie teuer die Übertragung ist. Irgendwann wird mich Emmas Antwort erreichen, aber es ist eine kostspielige Sache, diese Kommunikation aufrechtzuerhalten. Einen Augenblick überlege ich, ob ich Emma persönlich aufsuchen soll, aber das ist ein lächerliches Hirngespinst: Die Energiekosten wären astronomisch hoch, mal abgesehen von der langen Flugzeit. Zehntausende von Real, wenn ich die billigste, langsamste Passage in einer Sardinenbüchse buche, und vermutlich Millionen, falls ich so rechtzeitig da sein will, dass ich ihr noch helfen kann.
Nachdem ich Emma geantwortet habe, versuche ich mich auf meinem Ballonbett zu entspannen, aber ich bin zu beunruhigt, um es mir gemütlich zu machen. Niemand außer Emma liebt mich so sehr, dass er oder sie sich bei mir meldet. Und die Drohung der Domina liegt mir immer noch auf der Seele. Wie ekelhaft,
Opfer einer Aristokratin zu werden, die sich schlichtweg langweilt. Ich muss hier weg. Selbst wenn ich mich dazu als Arbeitssklavin verdingen muss? Vielleicht ist es tatsächlich so dringend. Als ich auf Venus ankam, dachte ich, ich könnte hier einen Neuanfang machen, doch das ist mir nicht gelungen. Hohlköpfig und einsam, wie ich war, habe ich mich einfach von einem aussichtslosen Job zum nächsten treiben lassen. Habe ich wirklich neun Erdjahre damit verplempert? Ich muss verrückt gewesen sein! Hier gibt es nichts, das einen weiteren Aufenthalt lohnt. Zeit zum Aufbruch.
Ganz unten, in der Nähe der schlecht beleuchteten engen Unterkünfte, in denen die Arbeitssklaven in sechsstöckigen Etagenbetten nächtigen, habe ich ein eigenes Zimmer. Nichts Besonders, aber wenigstens ist es mit elementarem Komfort ausgestattet: mit Strom, einem aufblasbaren Bett, einem Drucker, einem Werkzeugkasten, einem Schrank. Es ist ein Ort, wo ich immerhin
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