Die Kinder des Teufels (German Edition)
ihnen das Schicksal in den nasskalten Kellern der Stadt, man hatte sich mit ihnen arrangiert. Ratten waren Nachbarn, aufdringlich, wenn es Fressen gab, aber auch hilfreich, wenn Gefahr drohte. Sie witterten anrückende Stadtknechte oder Feuer weit früher als ihre besten Wachen. Gefährlich waren sie selten.
Diese Ratte hingegen war überraschend angriffslustig. Normalerweise flüchteten sie vor überlegenen Angreifern. Doch diese Ratte wich keinen Deut. Sie hatte den Rücken gekrümmt, als setze sie zum Sprung an, und fletschte die Zähne. Der Müllersknecht tat gut daran, sich in Acht zu nehmen. Eine Verletzung führte meist zu Fieber und mitunter auch zum Tod.
Von einem Fuhrwerk, das sich mitten im Hof befand und Mehlsäcke geladen hatte, schallte Gelächter herüber. Der Kutscher amüsierte sich beim Anblick der Tanzeinlage prächtig.
«He da, hoch das Bein.» Einer seiner Gäule wieherte dazu. «Ruhig …»
Ein glücklicher Tritt entschied das ungleiche Duell. Die Ratte ging zu Boden, und der Knecht trat auf sie ein, bis sich ihr Blut im gefrorenen Matsch verlor.
Dann packte er zwei Säcke, schwang sie auf die Schulter und stapfte in die Mühle zurück. Ein Sack hatte ein Loch, aus dem Körner zu Boden rieselten. Der Knecht merkte davon nichts.
Der Kutscher trieb ihn an. «Beeil dich. Es wird bald dunkel.»
Wilhelm schlich in den Schuppen und stöberte nach Verwertbarem. Die Auswahl war nicht groß. Verrottete alte Säcke, verrostete Eisen, ein paar tote Ratten und ein gebogenes altes Messer zum Öffnen der Säcke. Die Klinge war nicht sonderlich scharf, aber das ließ sich beheben. Er steckte es in die Tasche. Gerade rechtzeitig, denn aus der Mühle kamen die Knechte mit den Mehlsäcken auf den Schultern und luden sie auf den Karren.
Einer der beiden Gäule war seltsam unruhig. Das Tier wollte in den Stall zurück – wenn es nach dem Kutscher und seiner hungrigen Familie gegangen wäre, könnte es aber auch gleich zum Pferdemetzger.
«Verrücktes Vieh. Gib endlich Ruhe.»
Wilhelm lief geduckt hinüber zu Adam und Georg, die bereits auf ihn warteten.
«Wenn der Karren um die Ecke gebogen ist, springen wir auf.» Die beiden nickten und warteten auf den passenden Augenblick.
Sobald der Karren außer Sichtweite des Müllers und seiner Knechte war, liefen sie los. Sie mussten die Beine in die Hand nehmen, denn der Kutscher ließ seiner Ankündigung Taten folgen. Er gab den Gäulen die Peitsche.
Schon bald war er auf den Weg in die nächste Ortschaft eingebogen. Die Kinder holten auf und schafften es, auf die Ladefläche zu springen. Erschöpft und mit schnellem Atem verkrochen sie sich hinter die Säcke.
«Habt ihr euch gemerkt, welche für die Stifte bestimmt sind?», fragte Wilhelm.
Georg und Adam nickten.
«Wenn wir die Stadttore hinter uns haben, stoßt ihr sie vom Karren. Ich werde sie dann …»
Wilhelm brach ab, notgedrungen. Der Karren samt Ladung rutschte zur Seite weg. Ein Gaul wieherte. Über ihnen das Schnalzen der Peitsche und das Gebrüll des Kutschers. Der Karren zog unvermittelt an, die Gäule gingen durch.
Wilhelm, Adam und Georg krallten sich an den Säcken fest. Für den Moment sollte sie das auf dem Karren halten. Doch schon beim ersten großen Stein flogen sie in hohem Bogen von der Ladefläche, mit ihnen ein paar Säcke.
Der Aufprall auf dem gefrorenen Boden war schmerzhaft. Wilhelm hielt sich die blutende Nase, während er den Karren davonfahren sah. Die andere Hand ballte er zur Faust.
«Zum Teufel mit dir.»
Der Karren verlor sich schnell aus ihrer Sicht. Hinter der nächsten Anhöhe ging es hinunter in die Ortschaft. Dort brachte der Kutscher die Gäule wieder unter Kontrolle. Am liebsten hätte er dem närrischen Vieh gleich an Ort und Stelle die Kehle durchgeschnitten. Doch wollte er Anspruch auf seinen Lohn erheben, musste er die Fahrt wohl oder übel fortsetzen. Ein paar beruhigende Worte und eine Handvoll Heu brachten schließlich die Lösung.
Die Gäule blieben bis an die Pforte des Stifts ruhig. Die bestellten Säcke wurden abgeladen und in die hauseigene Bäckerei geschafft. Und die, die vom Karren gefallen waren, sollten sie beim nächsten Mal erhalten. Die Küchenknechte machten sich sogleich an die Arbeit. Brot musste gebacken werden und auch die Hostien, mit denen das Abendmahl gefeiert wurde, waren in letzter Zeit knapp geworden.
Die Herstellung der dünnen runden Scheiben war denkbar einfach: Mehl und Wasser miteinander verrühren, den Brei aufs
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