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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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jenseits der Schatten schlichen sie heran. Die Jäger hatten ihre Beute gestellt.
    Hilflos, wie gelähmt, starrte Gunhild auf die schemenhaften Gestalten in der Düsternis, die ihr den Weg versperrten. Doch noch schlimmer als das Bild, das ihre Augen heraufbeschworen, waren die Vorstellungen, die ihre Fantasie ihr vorgaukelte. Es war, als ginge von den Schatten in der Dunkelheit eine Kälte aus, die nicht in irdischen Begriffen zu messen war. Eine grundlose Leere, die hinter den Sternen lauerte, und sich eisig kalt und stumm um ihr Herz legte.
    Eine Wolke schob sich vor den Mond, und das letzte Licht erlosch.
    Gunhild rannte los.
    Sie hatte kein Ziel mehr vor Augen. Sie wollte nur noch weg von hier. Sie wusste, dass sie nicht die geringste Chance hatte, diesen Wesen zu entkommen. Selbst wenn es sich um sterbliche Geschöpfe gehandelt hätte, waren sie doch viel schneller als sie, viel stärker. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe diese Ausgeburten der Finsternis sie erreichten, und dann …
    Sie wagte nicht, daran zu denken, was dann sein würde. Sie dachte überhaupt nicht mehr. Sie handelte rein instinktiv, und aus dem gleichen Instinkt heraus hielt sie bei ihrer wilden Flucht auf den einzigen Funken Licht zu, der in der Finsternis leuchtete.
    Licht?
    Wo Licht ist, da ist auch Wärme.
    Feuer … Menschen … Geborgenheit …
    Begriffe, die durch ihren Verstand flatterten wie verirrte Fledermäuse, die im Mondschein aufblitzten und wieder verschwanden.
    Jenseits des Lichts warteten die Schatten.
    Die Schatten griffen nach ihr von allen Seiten, fassten nach ihren Armen, klammerten sich an sie, hemmten ihren Lauf. Schatten waren überall, rings um sie her. Ihre Ohren dröhnten vom Hall der Schatten. Und da waren noch andere Geräusche, die sie nicht zuordnen konnte: das Klirren von Metall, wie Scheppern von Töpfen und Geschirr, das Prasseln eines Feuers, das Schnauben eines Tieres.
    »Hierher!«, hörte sie eine Stimme.
    Etwas ragte vor ihr auf, eine schwarze Wand; nein, es war ein riesiger Kasten, über und über behangen mit Dingen, deren Form und Zweck sie nicht erkennen konnte, die aber die Quelle jener seltsamen Geräusche zu sein schienen. Sie wich ihnen aus und rannte taumelnd, stolpernd in den Bannkreis des Feuers.
    Dann waren die Schatten über ihr. Sie spürte ihren eisigen Atem im Genick. Etwas kam aus der Dunkelheit geflogen, traf sie von hinten und schleuderte sie zu Boden. Geifernde Fänge blitzten auf; sie warf sich zur Seite, und die gebleckten Zähne schnappten nur eine Handbreit vor ihren Augen zusammen. Etwas zerrte an ihrem Arm; Stoff zerriss. Sie hob die Hände vors Gesicht, um sich zu schützen, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war.
    Eine feurige, sengende Bahn aus Licht zerriss die Schatten, die sie umgaben. Funken sprühten auf, fraßen sich in das borstige Feil des Ungetüms, das sich auf sie stürzen wollte. Der Wolf – oder was immer es war – jaulte auf. Ein zweiter rollte über den Boden, nach seinen eigenen Hinterläufen schnappend, die in Flammen standen.
    Gunhild kniff die Augen zusammen und blickte auf.
    Eine dunkle Gestalt ragte vor ihr empor. Riesig erschien sie vor dem Hintergrund des Feuers. Ihre Form war die eines Menschen, doch an ihrem Kopf ragten rechts und links zwei Auswüchse hervor, die im flackernden Licht wie Hörner aussahen. Und als die flammende Bahn ein weiteres Mal über sie hinwegstrich, sah Gunhild die eine Hälfte des Gesichts in Licht getaucht, die andere in Schatten. Es erschien ihr, als habe der Fremde, der ihr so unerwartet aus dem Dunkel zu Hilfe gekommen war, nur ein Auge.
    »Fort mit euch, ihr Geister Annwns!«, schrie der Mann und schwenkte den brennenden Ast, den er aus dem Feuer gerissen hatte. »Eure hässlichen Gesichter können einen ehrbaren Kesselschmied nicht schrecken.«



3.
Der gläserne Turm
    »Wo ist er hingeritten?«, fragte Siggi verwundert.
    »Keine Ahnung«, sagte Hagen. »Plötzlich war er weg. Als wäre er um eine Ecke gebogen. Die Frage ist eher: Wo sind wir?«
    Sie standen auf der Kuppe des Hügels unter dem zerbrochenen Steinbogen. Siggi trug immer noch das Schwert in der Hand; es blinkte im Sonnenlicht. Hagen hielt den erbeuteten Speer. Sie wandten sich nach rechts und links, jeweils halb um die eigene Achse, wie zwei Krieger, die sich gegenseitig den Rücken decken, während sie nach Feinden Ausschau halten. Aber von einem Feind war weit und breit nichts zu sehen.
    Sie blickten hinaus auf ein weites Hügelland. Nebel lag in

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