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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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den Niederungen, schob sich langsam die Hänge empor. Die Sonne, die hoch am Himmel stand, hatte ihr Gesicht hinter einem milchigen Schleier verborgen, der alle Farben dämpfte. Es war ein kaltes, mitleidloses Licht, das fast keine Schatten warf. In den treibenden Nebeln wirkten die umliegenden Hügel mit ihren sanft gerundeten Kuppen wie Inseln, die in einem weißen Meer schwammen. Je weiter entfernt sie waren, umso blasser erschienen sie, bis man Himmel und Erde nicht mehr voneinander unterscheiden konnte.
    »Da ist ein Turm«, sagte Hagen. »Da hinten, auf dem Hügel.«
    Siggi wandte sich um. Hagen wies mit dem Finger auf eine Stelle am Horizont. Das Licht über dem weißen Nebelmeer blendete so stark, dass Siggi die Augen zusammenkneifen musste.
    »Ich sehe nichts.«
    »Jetzt sehe ich auch nichts mehr. Aber ich bin sicher, dass da etwas war. Es hat geblinkt.«
    »Du musst dich getäuscht haben.«
    Hagen runzelte die Stirn. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte er einen Streit anfangen, aber dann sagte er sich wohl, dass das keinen Zweck hatte. »Versuchen wir es rauszufinden. Oder hast du eine bessere Idee?«
    Siggi blickte nach unten. Der Nebel schwappte gegen den Fuß des Hügels. Bei dem Gedanken, sich in dieses milchige Meer hineinzuwagen, wurde es ihm unheimlich. Wenn sie die Orientierung verloren, konnten sie dort ewig herumirren. Und wenn erst die Nacht kam, welche Schrecken auch immer sie bieten mochte, waren sie verloren.
    Dann sah er noch etwas anderes. Etwas, das dem Auge, das endlos über die gleichförmigen Hügel schweifte, einen Halt bot.
    »Schau!«, sagte er voller Staunen. »Da ist eine Art Straße.«
    Es war eine absolut gerade gezogene Linie, die sich durch das Hügelland erstreckte. Mal verlor sie sich in den Tälern, doch immer wieder tauchte sie auf, lief, mal mehr mal weniger deutlich, bis zum nächsten Hügelkamm weiter, wo sie abrupt abbrach, um sich in weiterer Ferne aus den Nebeln neu zu formen. Es war nicht ganz klar, ob es wirklich ein Weg war; zwischendurch schien die Spur auch zu verschwinden und man glaubte sie verloren zu haben, doch folgte man ihr weiter, fand man sie wieder. Jedenfalls war die Linie zu gerade, sagte sich Siggi, um natürlichen Ursprungs zu sein. Und an ihrem Ende sah er etwas blinken, etwas wie …
    »Da, Hagen!«, rief er aufgeregt. »Jetzt hab ich es auch gesehen.«
    »Psst!« Hagen hatte ihn am Arm gefasst. Seine Aufmerksamkeit war nicht in die Ferne gerichtet, sondern auf etwas, das sich am Fuß des Hügels tat. Im Gebüsch raschelte es. Zweige bewegten sich, doch es war nicht der Wind, der in ihnen spielte. Etwas saß dort in den Büschen, vielleicht ein kleines Tier, vielleicht aber auch jemand, der sie beobachtete.
    Hagen legte einen Finger auf die Lippen. Den Speer vorgestreckt, ging er langsam auf die verdächtige Stelle zu. Siggi folgte ihm wie ein Schatten. Mit der Speerspitze teilte Hagen die Zweige, und –
    »Aaaaah!«
    Etwas schoss aus den Büschen hervor, rammte Hagen mit voller Wucht und ließ ihn zu Boden gehen. Aber nichts war zu sehen. Nichts außer fliegenden Blättern und Erdklumpen und wild schwankendem Gras.
    Siggi hatte überhaupt keine Zeit gehabt, einen klaren Gedanken zu fassen. Instinktiv packte er zu, mit der linken Hand. Seine Finger schlossen sich um ein Stück Stoff, das zerriss. Immer noch war nichts zu sehen. Etwas krallte nach ihm, packte seinen Arm und biss zu.
    »Au!« Er riss den Arm zurück, und mit der gleichen Bewegung fuhr sein anderer Arm mit dem Schwert hoch, das er immer noch in der Rechten hielt. Die Klinge traf auf einen Widerstand. Es gab ein Zischen, als ob etwas versengt würde, einen Schrei – und der Unsichtbare wurde sichtbar.
    »Nein, schlag den armen Piskey nicht, schlag mich nicht, mächtiger Sohn Llŷrs, nicht mit dem kalten Eisen! Oh, es tut so weh! Ohhh …!«
    Das Wesen, das sich vor ihm auf den Boden krümmte, war so grotesk, dass Siggi der Mund vor Staunen offen stand. Seine Haut war grün gefleckt, von einer Farbe wie angelaufenes Kupfer. Bleiches, strähniges Haar hing ihm über die Schultern herab, die breit und kräftig genug waren für einen ausgewachsenen Mann. Aber der untersetzte Körper, nur in Lumpen gekleidet, war kaum mehr als einen Meter groß. Arme und Beine standen in auffälligem Missverhältnis zu dem tonnenförmigen Brustkorb; sie waren spindeldürr, mit großen Händen und Füßen, mit Schwimmhäuten zwischen Fingern und Zehen wie bei einem Frosch.
    Am auffälligsten aber

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