Die Kinder von Avalon (German Edition)
Zweigen und Geäst an ihr Ohr. Es klang wie eine Meute, die durch das Unterholz brach.
Das Einhorn verharrte am Rande des Kreises.
»Lauf!«, schrie Gunhild ihm zu. »Lauf, so schnell du kannst! Ich werde sie aufhalten …«
Ein letztes Aufblitzen in der Dunkelheit, dann war das scheue Wesen draußen auf freiem Gelände.
Aber Gunhild sah es schon nicht mehr. Im gleichen Augenblick hatte auch sie sich umgedreht und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war.
Diesmal gab es keine Barriere, die sie hinderte. Die Steine ragten schwarz in den Himmel; vor den ziehenden Wolken sah es so aus, als senkten sie sich auf sie herunter. Doch dann war sie aus dem Kreis heraus.
»Hierher!«, rief sie. »Hier bin ich!«
Das Jaulen und Hecheln der Meute schwoll für einen Moment zu einem schrillen Kläffen; dann gab einer vom Rudel Laut, und die Jagd wechselte die Richtung.
Jetzt war Gunhild ihre Beute.
Sie musste machen, dass sie hier wegkam. Sie rannte wieder los. Büsche umgaben sie von allen Seiten. Sie konnte kaum noch die Hand vor den Augen sehen, und der Boden war uneben und trügerisch. Wenn sie in ein Loch trat und sich den Knöchel verstauchte, dann gute Nacht!
Vielleicht war es doch keine so tolle Idee gewesen, die ganze Aufmerksamkeit der Meute auf sich zu ziehen. Doch das hatte sie nun davon. Zum Glück waren die Verfolger noch ein gutes Stück hinter ihr, und das alte Gehöft, in dem sich das Foxcombe Country Hotel verbarg, konnte nicht weit sein.
Der Weg war länger und steiniger, als sie ihn in Erinnerung hatte. Hatte sie vielleicht die Orientierung verloren? Plötzlich versperrten ihr hohe, dunkle Bäume die Sicht. Sie konnte sich gar nicht erinnern, hier entlanggekommen zu sein.
Sie wandte sich nach rechts. Eines wusste sie noch genau: Der Weg, dem sie gefolgt war, hatte bergauf geführt. Wenn sie sich immer nur in Richtung des tieferen Geländes hielt, musste sie zwangsläufig irgendwann auf den Ort oder zumindest auf die Straße stoßen.
Wasser platschte auf. Sie blickte nach unten. Im Mondlicht war der Tümpel, in den sie getreten war, kaum zu erkennen; nur hier und da blinkte es zwischen dem Ried. Der Boden saugte an ihren Schuhen, und so lief sie weiter und versuchte, nicht an die Gefahr zu denken, die sie umgab. Nun nicht nur hinter, sondern auch unter ihr: der Abgrund, der sie hinabzuziehen drohte, in die Schwärze, das Nichts. Dann war wieder trockener, steiniger Boden unter ihren Füßen, von Dornkraut überwuchert. Ranken peitschten nach ihren Beinen, rissen Striemen, die wie Feuer brannten. Ihre Schritte wurden langsamer. Etwas in ihrem Gehirn, das noch ganz klar und vernünftig dachte, sagte ihr, dass es keinen Zweck hatte, wie eine Verrückte zu rennen, aber dieses Etwas gewann keine Macht über ihren Geist, nur über ihren Körper. Sorgsam und vorsichtig stakste sie über die Dornbüsche hinweg, während ihre Gedanken rasten.
Irgendwo voraus musste die Straße sein. Sie konnte doch nicht ewig so weiterrennen. Dann würde die wilde Jagd sie schließlich erreichen, und dann …
Vor ihr blinkte es heller auf. Gunhild zerteilte die Ginsterbüsche und sah das Band eines Fahrweges im Mondlicht liegen.
Sie machte ein paar rasche Berechnungen. Wenn sie nach rechts abgewichen war, dann musste das Hotel irgendwo zur Linken liegen. Sie stolperte die letzten Schritte den Hang hinab und hinaus ins Freie.
Das Keuchen ihres Atems war das lauteste Geräusch in der nächtlichen Stille. Selbst das Heulen des Windes – wenn es denn der Wind war – war verstummt, und nur wenn sie scharf lauschte, dann glaubte sie noch etwas zu hören. Aber sie wollte sich nicht darauf konzentrieren. Sie musste in Bewegung bleiben. Bewegung war Leben. Stillstand war der Tod.
Wenn die Meute noch hinter ihr war, wenn sie sie nicht schon längst überholt und umzingelt hatte, dann hatte sie noch eine Chance. Wenn sie in Bewegung blieb …
Zur Linken führte das helle Band der Straße, gefleckt von den Mondstrahlen, die durch das Laubdach fielen, etwa zwanzig Schritt über eine Lichtung. Dann tat sich wieder ein Tunnel auf, in einer Wand von Strauch- und Baumwerk, welche das tiefere Dunkel an ihrem Grunde umschloss. Und in diesem schwarzen Stollen lauerte etwas, das noch schwärzer war als die Nacht. Ein Wesen mit gesträubtem Fell und scharfen Zähnen, das mehr zu erahnen war als zu sehen, bis auf die Augen, die geisterhaft in der Schwärze glommen. Ein zweites gesellte sich hinzu und ein drittes. Aus der Finsternis
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