Die Kinder von Avalon (German Edition)
ausgebleicht.«
»Er war weiß«, erklang die Stimme des Alten in seinem Rücken, »weiß wie Schnee.« Merlin war schnaufend näher getreten. »Es gab einen großen Kampf hier in diesem Tal, zwischen zwei Drachen. Das war, als Uther Pendragon mich zu Hilfe rief. Seht ihr dort oben die Mauern?« Er wies mit dem Finger auf den nördlichen Hang. Als die anderen seinem Hinweis folgten, erkannten sie es auch: Mauernzüge aus unbehauenen Steinen, so zerfallen und verwittert, dass sie schon wieder dem gewachsenen Fels glichen. Darunter zog sich ein Wasserfall in weißen Fäden herab ins Tal. »Er wollte hier eine Festung bauen. Doch die Mauern stürzten immer wieder ein, und keiner seiner Priester und Berater konnte ihm den Grund dafür sagen. Aber ich blickte tiefer, bis ins Innere des Berges, und ich sah dort den Roten und den Weißen Drachen an einem unterirdischen See. Sie schliefen, doch Nacht für Nacht regten sie sich im Schlaf, und dann bebte die Erde.«
»Und was hast du dann gemacht?«, fragte Siggi neugierig. »Ich habe sie herausgelockt«, erklärte der Alte, »und dann haben sie hier im Tal von Dinas Emrys ihren Kampf ausgetragen. Erst schien der Weiße Drache zu siegen, doch schließlich gewann der Rote die Oberhand und tötete den Weißen. Wie ihr seht. Ich erklärte dem Pendragon, dass der Rote Drache für Prydain stehe und der Weiße für ihn und dass dies ein Zeichen dafür sei, dass er nie dieses Land erobern würde.«
»Das war schlau«, meinte Hagen. »Aber wieso hat er die Festung nicht trotzdem zu Ende gebaut? Ich meine, als die Drachen weg waren, da hätte er es doch tun können.«
»Nun ja, zum einen habe ich, als ich die Erde für die Drachen öffnete, diesen Quell dort aufgetan.« Er wies auf den Wasserfall. »Er speist jenen kleinen Teich, den ihr hier seht. Dadurch war der Untergrund zu unsicher geworden, und die Mauern fielen so oder so ein, auch ohne Drachen. Also hat er einfach die Festung mir geschenkt, und darum heißt sie auch so: Dinas Emrys, die Burg des Ambrosius. Ambrosius, das war der Name, den mir die Priester gaben. Es heißt so etwas wie ›der Unsterbliche‹.«
»Ein Highlander«, sagte Siggi spontan.
»Wieso?«
»Oh, ich war in dem Film«, erklärte er. »Da ging es um so einen Typ, der konnte nur sterben, wenn man ihm den Kopf abschlug.«
»Obwohl auch das«, fügte Hagen hinzu, wobei er einen Blick mit Siggi wechselte, »hierzulande nicht immer zu funktionieren scheint. Siehe Brân.«
Merlin rieb sich den Hals. »Ich wünschte mir trotzdem, ihr würdet es nicht gleich an mir ausprobieren wollen.«
Der alte Herr scheint ja fast so etwas wie Humor zu entwickeln, stellte Siggi fest. Laut aber sagte er: »Jedenfalls hast du von deiner Burg hier nicht viel gehabt, was?«
Der Alte zuckte die Schultern. »Was soll ich schon mit einer Burg? Außerdem gab es da noch einen anderen Grund …«
Gunhild war inzwischen zu dem Teich getreten, auf den der Alte sie hingewiesen hatte. Er sah mehr aus wie eine Zisterne: ein von Steinen eingefasster Tümpel, der, obwohl er ständig von den Wassern der Hügel gespeist wurde, eine fast spiegelglatte Oberfläche besaß. Sie hatte sich hinuntergebeugt, um etwas Wasser mit der Hand zu schöpfen, hielt jedoch plötzlich inne. Eine leise Wellenfront lief über den Teich und verebbte wieder.
»… denn der Weiße war zwar besiegt, aber da gab es noch den anderen …«
Wieder wurde der Teich von einem Beben erschüttert.
»Ich glaube, Siggi«, sagte Gunhild, »wir sind hier im falschen Film. Das ist nicht Highlander, das ist Jurassic Park.«
»… den Roten Drachen.«
Booom!
»Verdammt!« Siggi reagierte als Erster. Gedankenschnell hatte er sein Schwert gezogen. Hagen mit seinem Speer war nur den Bruchteil einer Sekunde langsamer.
»Du hast es gewusst, nicht wahr?« Siggis Stimme bebte, aber nicht vor Angst. »Du hast uns in dieses Tal geführt, obwohl du wusstest, dass noch ein lebender Drache hier haust.«
Der Alte wand sich. »Ich habe es nicht gewusst«, behauptete er. »Ich habe es wohl befürchtet.«
Booom!
»Und wie kommen wir jetzt hier wieder heraus?« Hagen war es, der trotz allem einen kühlen Kopf behielt. »Gibt es einen Weg über die Hügel?«
Merlin schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das wird nicht viel helfen. Dies ist der Drachenweg. Jeder Weg führt auf ihn zurück.«
Booom!
»Versuchen wir es trotzdem«, meinte Hagen.
Sie wandten sich nach rechts, wo der Hang nicht ganz so steil erschien. Hagen und Siggi
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