Die Kinder von Avalon (German Edition)
gingen vorneweg, Gunhild folgte ihnen und der Alte ebenso, wenn auch zögerlich. Sie mussten sich den Weg durch Farnkraut und Ginster freikämpfen. Die harten Sträucher peitschten nach ihren Beinen. Siggi wäre fast gestolpert, zumal es wieder bergab ging …
»Aber wieso … was …?«
Sie standen wieder auf dem Drachenweg. Siggi hätte schwören können, dass sie in einer geraden Linie bergauf gegangen waren. Stattdessen hatten sie einen Bogen geschlagen und waren wieder auf dem Grund des Tales herausgekommen.
Booom!
»Wir kommen hier nicht raus«, stellte Hagen fest. »Der Weg ist irgendwie … krumm.«
»Der gerade Weg ist nicht immer der kürzeste«, meinte Siggi. »Erinnerst du dich, das hat der Piskey gesagt.«
Hagen wandte den Blick nach links, den anderen Hang hinauf. »Versuchen wir dort unter der Mauer Schutz zu suchen«, schlug er vor. »Vielleicht finden wir da eine Nische oder so was. Und diesmal gehen wir in einem Bogen. Los!«
Sie rannten los. Gunhild folgte ihnen. Der Alte blieb stehen, als wüsste er schon, was ihnen bevorstand.
Der Weg setzte ihnen Widerstand entgegen. Jede kleine Abweichung verwehrten die Ginsterbüsche mit ihren harten, holzigen Zweigen. Siggi warf einen Blick voraus. Die fest gefügten Steine des Walles verschwammen vor seinen Augen, veränderten sich, kamen in Bewegung.
»Achtung!«
Er packte Hagen am Mantel, riss ihn zurück. Hagen verlor das Gleichgewicht und fiel. Siggi, der ihn immer noch festhielt, wurde mitgezogen. Gemeinsam rollten sie den Abhang hinunter, bis das Farngestrüpp ihren Sturz auffing. Unmittelbar dort, wo sie gestanden hatten, polterten kopfgroße Steinbrocken zu Tal.
Booom!
Siggis Augen suchten hektisch den Weg ab. Der Drache war jetzt ganz nah; er spürte es. Jeden Augenblick konnte er dort an der Biegung erscheinen, wo hohe Steilwände die Sicht auf den weiteren Verlauf des Tales versperrten. Keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Keine Nische, in der man Schutz suchen, aus der heraus man angreifen könnte. Es sei denn …
Sein Blick fiel auf eine flache Vertiefung in der Mitte des Weges, und ein wahnwitziger Plan nahm in ihm Gestalt an. Er sah Gunhild an, die zu ihm gelaufen kam.
»Ich leg mich da hin«, sagte er und deutete auf die Mulde. »Ich leg mich da hin mit dem Schwert, und ihr deckt mich zu. Wenn der Drache kommt, warte ich, bis er über mir ist, und dann steche ich ihm das Schwert in den Bauch. Dort sind Drachen immer am verwundbarsten. Das weiß ich aus der Nibelungensage.«
Gunhild starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Du bist wahnsinnig, Siggi.«
»Wenn Siegfried es geschafft hat, den Drachen zu töten, dann kann ich das auch.«
»Er ist übergeschnappt.« Gunhilds Stimme wurde hysterisch. »Er hält sich für Siegfried den Drachentöter.«
»Es ist unsere einzige Chance. Glaubst du, ich mach das zum Spaß? Glaubst du, ich hätte keine Angst? Aber wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen was tun! Oder hast du eine andere Idee?«
Gunhild schüttelte den Kopf.
»Dann kommt!«
Er rannte über den Weg. Das Schaben und Kratzen kam näher; es klang, als ob ein riesiger Baumstamm an Ketten herangeschleift wurde. Nein, schlimmer noch, wie das Knirschen einer schweren Maschine, einer Dampfwalze, die sich langsam und unaufhaltsam ihren Weg bahnt.
Booom!
Die Mulde war flacher, als Siggi gedacht hatte. Er wollte sein Schwert ziehen und stellte fest, dass er es bereits in der Hand hielt. In einer Staubwolke rutschte er in die Vertiefung.
»Los! Deckt mich zu! Mit irgendwas – Farn, Blätter, macht schon. Macht schnell!«
Etwas klatschte ihm ins Gesicht: ein abgerissener Ast. Dreck spritzte ihm in die Augen. Er hielt das Schwert fest umklammert. Irgendjemand lud eine Ladung Blätter über ihm ab. Er spuckte.
»Ab mit euch. Er kommt! Er kommt …«
Booom!
Die Erde vibrierte. Er spürte es jetzt ganz deutlich. Das Zittern setzte sich durch seine Knochen fort, ließ seinen Schädel schwingen.
Booom! – Booom!
Aus den Augenwinkeln heraus sah er, dass sich etwas näherte, etwas Riesiges, Gigantisches. Er hörte den Atem des Drachen, wie das Fauchen einer Turbine.
Booom! – Boooom! – Booooom!
Höher und höher wuchs der Schatten. Rostrote Platten schabten gegeneinander. Die Luft war erfüllt von einem singenden Ton und zugleich unendlich still, als hielte die ganze Welt den Atem an.
Boooooom …
Dann schob sich der hörnerbewehrte, keilförmige Kopf des Drachen in sein Gesichtsfeld.
Und verharrte.
Der
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