Die Kinder von Erin (German Edition)
er an der Brücke gewonnen hatte. Es war eine ziemlich armselige Bande. Ihre Kleidung beschränkte sich auf zerlumpte Kittel und Lederlappen an den Füßen, soweit sie nicht barfuß gingen. Und sie hatten neben Stöcken und Steinschleudern und dem einen oder anderen Messer, das im Gürtel steckte, auch keine weiteren Waffen. Zudem schienen sie aus allen möglichen Stämmen und Völkern zusammengewürfelt zu sein: Es gab Große und Kleine, Hell- und Dunkelhaarige; nur mager und hohlwangig wirkten sie alle. Dem einen fehlte ein Auge, dem anderen eine Hand, der dritte hatte eine verschorfte Wunde an der Stirn. Alles in allem: Robin Hood und seine Mannen hatte Siggi sich anders vorgestellt.
»Und was wird jetzt?«, fragte der Junge am Boden.
Siggi blickte auf ihn runter. »Du sagst: ›Ich ergebe mich‹, und dann lasse ich dich frei.«
»Ich ergebe mich.« Der Junge grinste. »Kann ich jetzt aufstehen?«
Siggi zog das Schwert zurück, und der andere setzte sich auf. Er war immer noch ein bisschen blass um die Nase.
»Ich schätze, du hast mir das Leben gerettet. Ich heiße Oisín.«
»Und dann ist das hier wohl Oisíns Bande?«
Oisín stellte sie der Reihe nach vor. Den baumlangen, blonden Kerl, der ihn mit dem Stein getroffen hatte, nannten sie Goll Mac Morna. Ein stämmiger, untersetzter Schwarzhaariger hieß Bran Beg, sein Bruder, der einen halben Kopf größer war, Bran Mór – der kleine und der große Rabe. Dann waren da noch Caoilte, Cascorach, Iollan und Conan. Den Namen konnte Siggi sich wenigstens merken, auch wenn er sich Conan den Barbaren etwas anders vorgestellt hatte als dieses magere Kerlchen. Und der kleinste der Gruppe, der aussah, als wäre er nicht älter als zehn, hieß Oscar, wie der Filmpreis von Hollywood.
»Und wie heißt du?«
Aus einem Impuls heraus, den er sich selber nicht erklären konnte, sagte Siggi: »Nennt mich Finn.« Das war der Name, den der Schamane ihm gegeben hatte.
»Dann ist das jetzt hier Finns Bande. Denn wir haben ein Gesetz, dass immer der Stärkste unser Anführer wird. Er muss für die anderen kämpfen. Jetzt bist du unser Chef.«
Na, dachte Siggi, das habe ich jetzt davon . Er blickte sich um. Von seinem Begleiter, der auf so mysteriöse Weise verschwunden war, gab es immer noch weit und breit keine Spur. Er war jetzt wirklich auf sich allein gestellt und hatte noch eine Schar Halbwüchsiger am Hals, die zu ihm aufsahen, als habe er alle Weisheit der Anderswelt gepachtet. Nun denn, wenn sonst keiner hier sagte, wo es lang ging, dann musste er wohl die Initiative ergreifen.
»Gibt es hier irgendwo was zu essen?«
»Wir haben nicht viel, aber was wir haben, teilen wir gern«, sagte Oisín. »Komm!«
Sie brachen auf. Wieder ging es in den Wald hinein. Die Pfade waren noch immer schlammig vom Regen der vergangenen Nacht und halb von Farnkraut und Brombeergestrüpp überwachsen. Doch hier, jenseits des Flusses, war die Farbe des Laubwerks eine andere geworden. Es war nicht mehr der grüne Sommerwald, sondern die Blätter der Eichen hatten sich hier bereits rot und gelb verfärbt. Selbst das Heidekraut, das in den Lichtungen zwischen den Bäumen den Boden bedeckte, war bereits verblüht. Man hatte das Gefühl, es wäre schon Herbst und ginge auf den Winter zu.
»Wohnt ihr hier im Wald?«, fragte Siggi, nur um etwas zu sagen.
»Na klar«, sagte Oisín, fügte dann aber schnell hinzu: »Na ja, nicht so richtig. Es gibt hier eine Stadt, wo unsere Eltern wohnen. Tlachtga heißt sie.«
»›Lachgar‹?«
» Tlachtga. Eine alte Siedlung der Firbolg. Aber heute ist es nur noch ein Dorf. Und da die Äcker jetzt abgeerntet sind, braucht man uns nicht mehr auf den Feldern. Darum haben wir uns im Wald ein Lager gebaut …«
»Und von dort aus überfallt ihr harmlose Reisende, die des Wegs kommen?«
Oisín sah ihn von der Seite an, als wollte er sagen: Na, so harmlos siehst du auch wieder nicht aus! Siggi wurde sich einmal mehr der seltsamen Kleidung bewusst, die er trug – Felle und Lederstücke –, und des bronzenen Schwerts an seiner Seite.
»Nein«, sagte der Junge dann, »eigentlich warten wir auf die Steuereintreiber, die jedes Jahr um Samain hierher geritten kommen. Aber wahrscheinlich kommen sie doch wieder mit einem ganzen Trupp, und dagegen hätten wir ohnehin keine Chance …«
Siggi wollte noch etwas erwidern, um mehr über die Hintergründe zu erfahren. Aber in diesem Augenblick traten sie auf eine Lichtung hinaus, wo sich das Lager befand.
An einem
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