Die Kinder von Erin (German Edition)
Heilkunst, den Bronzeguss und die Schrift.«
»Aber«, sagte Siggi verwirrt, »wieso beuten sie euch jetzt bis aufs Blut aus?«
»Doch nicht die Männer von Dea!« Jetzt war es an Oisín, ihn verwundert anzusehen. »Die Söhne Mils, die Gälen. Die neuen Eroberer. Sie beherrschen das Land. Sie knechten das Volk.«
»Und was ist mit dem Volk der Göttin Dana geschehen? Mit Nuadu mit der silbernen Hand – und Lugh, dem Alleskönner?«
»Nuadu ist lange tot. Er fiel im Kampf gegen die Fomorier, als diese erneut vom Meer kamen, um das Land mit Krieg zu überziehen. Doch Lugh Langhand, wie wir ihn nennen, hat sie geschlagen, und danach wählte man ihn zum König. Aber er übergab die Herrschaft an den Dagda, den man den guten Gott nannte. Und es gab eine kurze Zeit des Friedens und Wohlstands für alle – bis die Milesier kamen.«
»Und was dann?«
»Die Männer von Dea – die Tuatha Dé Danann – wollten nicht mehr kämpfen. Sie waren erschöpft. Sie hatten das Land in einer blutigen Schlacht erobert, hatten es mehr als einmal gegen Invasoren verteidigt. Ihre Krieger waren tot. Die zaubermächtigen Waffen, die sie einst besaßen – der Speer des Lichts, das Schwert der Macht –, waren verschollen. Auch den Kessel des Dagda hat man seit langem nicht mehr gesehen; doch wie es heißt, hatte auch er die Kraft verloren, neues Leben zu spenden. Und wo der Stein des Schicksals ist, in dem das Königtum von Erin verborgen liegt, weiß nur Lugh Langhand allein, wenn es ihn noch gibt. Und so riefen sie Amergin den Erzdruiden als Mittler an, und er tat den Spruch, dass den Kindern Mils die eine Hälfte des Landes zustehe, den Kindern von Dea dagegen die andere.«
»Aber dagegen ist doch nichts einzuwenden«, meinte Siggi. »Ein faires Angebot.«
»Er meinte die obere Hälfte und die untere.«
»Verstehst du?«, mischte sich Gránia ein. Ihre Stimme klang schrill. »Sie verschwanden! Sie zogen sich zurück in die hohlen Hügel, in die verwunschenen Burgen im äußersten Westen und auf die Insel unter den Wellen im östlichen Meer. Ja, sie schlossen Frieden mit ihren alten Feinden, den Fomoriern, und gingen weg. Sie haben uns einfach im Stich gelassen.«
»Sieh dich doch um«, sagte Dermot, und seine Stimme klang bitter: »Die du hier siehst, das ist das Volk von Erin, das Treibgut, das nach jeder Welle der Invasion angespült zurückblieb. Hier siehst du die Kinder vieler Nationen – von Partholánern und Nemediern, Firbolg und Tuatha Dé, selbst von den Milesiern, die nicht so glücklich waren, zu den Siegern zu gehören, und von anderen Völkern, die keine Sage, keine Chronik nennt. Wir, das Volk, sind immer die Leidtragenden der Geschichte – und jetzt stöhnen wir unter der harten Hand der neuen Herren, die uns den dritten Teil von allem wegnimmt, was wir erwirtschaften. Und warum? Nur weil sie die Macht besitzen.«
»Ich mach sie alle«, knurrte Goll Mac Morna, der bis jetzt geschwiegen hatte.
»Seine Eltern wurden letztes Jahr von den Steuereinnehmern erschlagen«, erklärte Oisín. »Sein Vater Morna hatte sie um Aufschub gebeten, weil er seine Familie nicht mehr ernähren konnte. Seine Frau, Golls Mutter, hatte gerade wieder ein Kind bekommen, das siebte. Jetzt ist es tot.«
»Aber was sollen wir tun?«, fragte der kleine Oscar.
Alle hockten um die erlöschende Glut, und keiner sprach. Als Siggi in die Runde blickte und die hohlwangigen Gesichter, die zerlumpten Gestalten, die hängenden Schultern sah, aus denen Niedergeschlagenheit, ja, völlige Mutlosigkeit sprach, da packte ihn so etwas wie … nein, Wut war es nicht. Es war das innere Bedürfnis, diesen verzweifelten Menschen wenigstens ein bisschen Hoffnung zu geben.
»Hört mich an«, sagte er. Alle hoben den Kopf. »Die alten zaubermächtigen Waffen sind nicht tot.« Er zog sein Schwert. »Dies hier ist die Klinge, die Nuadu im Kampf gegen die Firbolg führte. Der Erzdruide selbst hat mich an den Ort geführt, wo sie verborgen lag. Dies ist das Schwert der Macht. Mit ihm werden wir die Krieger des Nordens besiegen.«
Alle starrten ihn an, als käme er selbst aus dem Reich der Legenden und nicht sie.
»Ja, ich weiß«, sagte er, »sie sind stark und gut gerüstet und an Zahl überlegen. Aber ihr habt einen großen Vorteil. Ihr kennt das Land. Und sie werden sich für unbesiegbar halten. Das müssen wir ausnutzen.
Und noch eins«, fügte er hinzu, als er merkte, dass seine aufmunternden Worte noch immer nicht halfen. »Oisín hat mir gesagt,
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