Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
den Hügel herabrennen und uns angreifen.«
Roberto trank seinen Wein aus und füllte mit Wasser nach, um das recht trockene Brot und das zähe Fleisch hinunterzuspülen.
»Haben wir einen Vertrag, der uns in Sirrane die Jagd erlaubt?«, sagte er.
»Der Quartiermeister bestätigt es«, antwortete Shakarov.
»Dann wünschte ich, er könnte uns etwas Frisches schießen. Dieses Tier hatte seine besten Tage schon lange hinter sich.« Lachen erhob sich nach seinen Worten. »Also gut, vielen Dank für eure Gedanken. Wenn unsere Späher nicht sehr überraschende Neuigkeiten haben, können wir annehmen, dass wir mindestens noch den morgigen Tag hier lagern. Wir werden in Kampfformation aufmarschieren und sehen, wie weit wir kommen, bevor ich Triplex Acies befehle. Zu diesem Zeitpunkt werde ich noch keinen großen Angriff auslösen. Tomas, ich stimme nicht ganz mit dir überein. Ich glaube nicht, dass sie lediglich beabsichtigen, unseren Vormarsch zu verzögern. Ich glaube auch nicht, dass sie sofort herausstürmen, sobald wir in Rufweite sind, Elise. Nun gut, morgen steht uns also ein ruhiger Tag bevor.« Er kaute auf seinem Brot und knackte zwischen den Zähnen ein Korn. »Falls es noch irgendwelche Schwierigkeiten gibt, wäre dies der Zeitpunkt, sie vorzutragen. Morgen früh will ich nichts davon hören.«
Keiner von ihnen kam dazu, etwas zu sagen. Gleich nach dem Klicken von Speeren, die in Habtachtstellung gebracht wurden, stürmte ein Soldat geduckt herein und nahm den Helm ab.
»Ja, Zenturio?«, sagte Roberto.
»Ein Reiter der Konkordanz von General Gesteris an der Ostfront, mein Herr«, meldete der Zenturio, den Abzeichen nach ein Offizier der Zehnten Legion. »Er versicherte mir, es sei wichtig.« Er hatte eine Mappe mitgebracht.
»Daran habe ich keinen Zweifel«, sagte Roberto. »Gib her.«
Der Zenturio eilte durchs Zelt, übergab die Mappe und verschwand nach einem schmissigen Gruß.
»Das war einer von deinen Männern, Ben Rekeros«, sagte Roberto und sah nickend dem Zenturio hinterdrein, während er schon das Siegel auf der Mappe erbrach.
»Ja, General, und er ist ein guter Mann, wenngleich ein wenig nervös im Kreise seiner Vorgesetzten. Er wird sich bewähren, falls er den Dienst bei den Hastati überlebt.«
Roberto zog ein Bündel Papiere aus der Mappe. Sie waren mit einer Schnur zusammengebunden, oben darauf lagen eine Zusammenfassung und eine Inhaltsangabe, die Gesteris selbst mit seiner fließenden Handschrift angefertigt hatte. Nach einem kurzen Blick auf das erste Blatt sah Roberto sich von einer angenehmen Wärme durchflutet.
»Die Botschaft wurde abgeschickt, als sie sich in Scintarit der Furt näherten. Wie weit ist das entfernt?«
Davarov kratzte sich am Kopf. »Der Botendienst könnte es zusammen mit dem Übergang über den Fluss in sechs Tagen schaffen, wenn sie auch in der Nacht reiten und den ganzen Tag über frische Pferde bekommen. Es sind gut vierhundert Meilen, würde ich sagen.«
»Dann haben sie die Botschaft wirklich sehr schnell abgeliefert«, erklärte Roberto, der unwillkürlich beeindruckt war, als er das Datum auf der Botschaft überprüfte. »Anscheinend sind wir ins Hintertreffen geraten und setzen Fett an, während die anderen schon ihren Schwertarm schwingen. General Gesteris hat vor sieben Tagen die tsardonischen Truppen angegriffen. Wir wollen hoffen, dass er inzwischen bereits gesiegt hat.«
»Ändert das irgendetwas?«, fragte Tomas.
»Nur in meinem Herzen«, erwiderte Roberte. »Es gefällt mir nicht, im Kampf nicht der Erste zu sein. So bekomme ich Lust, dem nächstbesten Tsardonier den Kopf abzureißen. Glücklicherweise sind genügend von ihnen zur Hand.«
21
848. Zyklus Gottes, 9. Tag des Genasab
15. Jahr des wahren Aufstiegs
D ie Hornsignale, die in der Morgendämmerung gegeben wurden, waren in dem auf die Zelte prasselnden Regen kaum zu hören. Mitten in der Nacht war hinter ihnen eine Unwetterfront über die Berge gekrochen. Der Wind war zwar rasch wieder eingeschlafen, aber die Wolkendecke war geblieben, und das Lager war vier Stunden lang unablässig durchnässt worden. Überall im Lager wurden jetzt Rufe laut, die die Bürger aus den Betten trieben. Der Regen spielte eine misstönende Musik auf den Tausenden von Helmen, Schilden und Brustharnischen. Roberto war schon aufgestanden, sein Adjutant schnürte gerade die Riemen seiner Rüstung. Sie glänzte im Schein der Laternen, und er nickte zustimmend. Unter dem polierten Metall, das
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