Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
Nichts, auch wenn Eure Auswahl der Eltern auf Maßstäben beruhen mag, die wir noch nicht verstehen. Es gab bisher keine wie sie, zufällig ist so etwas bisher nicht geschehen. Auf welcher Grundlage konnten sie entstehen?«
Gueran runzelte die Stirn. »Nun, sie kommen alle aus Westfallen.«
»Ich verstehe«, sagte Harkov. »Demnach gibt es hier noch einige andere, die solche Fähigkeiten in gewissem Maße auf natürliche Weise zeigen?«
»Ja, offensichtlich.« Gueran konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken. »Fast alle haben sie in einem gewissen Abschnitt ihres Lebens.«
Jhered fuhr auf, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige versetzt.
»Wie bitte?«
24
848. Zyklus Gottes, 40. Tag des Genasab
15. Jahr des wahren Aufstiegs
R oberto Del Aglios erwachte durch einen Klageschrei vor seinem Zelt und wusste im ersten Augenblick nicht, wo er war. Trotz der nächtlichen Stunde war es warm, sein Bett war schweißnass. Er konnte sich nicht erinnern, zu Bett gegangen zu sein. Während er seine Erinnerung wieder zu finden versuchte, lauschte er, was im Lager geschah. Der Schrei hatte gefährlich geklungen, und die darauf folgende Stille hatte einen Beigeschmack von Tod.
Er wollte sich aufrichten, war jedoch zu schwach. Alle Muskeln taten ihm weh, schon bei der kleinsten Bewegung wurde ihm übel. Auf seiner Stirn lag ein Tuch. Er zog es herunter und hörte es in eine Schale mit Wasser klatschen, die neben seinem Bett stand. Oh ja, jetzt kehrten die Erinnerungen zurück.
»Garrelites!«, rief er mit schwacher, heiserer Stimme. Darauf musste er stark husten und hätte sich beinahe übergeben.
Schritte näherten sich, die Klappe vor seinem Zelt wurde geöffnet. Er war nicht stark genug, den Kopf zu drehen, und wartete, bis ein Gesicht über seinem erschien.
»Du bist nicht Garrelites«, sagte er, als er seinen leitenden Wundarzt erkannte. Dahnishev, der große und dürre Mann aus Gosland, der Wunder wirken konnte.
»Wenigstens funktionieren deine Augen noch«, sagte Dahnishev.
»Garrelites starb in der Schlacht. Erinnerst du dich nicht? Er ist tot. Eigentlich solltest auch du tot sein.« Er legte Roberto die Hand auf die Stirn, die Wangen, den Hals und die Brust. »Dein Fieber ist bezwungen.« Er lächelte. »Du hast Glück gehabt. Gott braucht dich wohl noch auf seiner Erde.«
»Fieber«, wiederholte Roberto. Mühsam setzte er die Bruchstücke seiner Erinnerungen zusammen. Sein Herz pochte heftig. »Sind wir hier in Sicherheit?«
»Nur ruhig, General«, sagte Dahnishev. »Eins nach dem anderen.«
»Garrelites ist tot?«, fuhr Roberto fort. »Ein guter Mann. Ein Freund.«
»Ja«, bestätigte Dahnishev. »Und wenn du kannst, dann erkläre mir jetzt, wie du dich fühlst.«
»Ein wenig benommen«, gab Roberto zu.
»Das dachte ich mir schon«, sagte der Wundarzt. »Schmerzen?«
»Überall. Am schlimmsten im Kopf. Mein Magen fühlt sich an, als läge mein Pferd darauf.«
»Wenigstens ist das Gefühl wieder da. Das ist ein gutes Zeichen. Und dein Fieberwahn hat nachgelassen.«
»Wie lange?«, wollte Roberto wissen.
»Acht Tage«, sagte Dahnishev.
»Gott möge mich umarmen«, keuchte Roberto.
Er war schwach, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Als er sich aufrichten wollte, drückte Dahnishev ihn mühelos wieder hinunter.
»Lieber nicht«, sagte er. »Du hast nicht genug Kraft. Morgen kannst du dich aufrichten, und übermorgen kannst du stehen. Vielleicht.«
»Ich habe Aufgaben. Die Tsardonier …«
»Von denen ist weit und breit nichts zu sehen. Bitte, General. Roberto. Hör auf mich.«
Roberto nickte. Seine Panik verflog, und er konzentrierte sich wieder auf Dahnishev. Die durchdringenden blauen Augen verrieten so etwas wie väterliche Sorge. Er war müde, und seine Gedanken irrten immer wieder ab.
»Entschuldige, es tut mir leid.«
»Du musst dich nicht entschuldigen, General.« Dahnishev setzte sich neben ihm aufs Bett. »Es gab einen Ausbruch von Gallenfieber im Lager, der aber schon wieder abklingt. Wir haben die Flöhe und Ratten aus dem Lager vertrieben, den Graben rings um den Palisadenzaun tiefer ausgehoben und untersuchen die Männer ständig auf Stiche. Wir haben die Krankheit besiegt, sind aber sehr geschwächt. Ich kann dir die Zahlen nennen, wenn du stärker bist, aber im Augenblick, bevor du wieder ruhst, sollst du wissen, dass wir nicht in Gefahr sind. Wir haben Nachricht an General Atarkis geschickt, dessen Legionen uns jetzt außerhalb der Quarantänezone verteidigen.«
Roberto
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