Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
Morgendämmerung marschierten sie los und störten mit ihren Liedern und Gebeten den Frieden der Nacht. General Gesteris führte sein Heer nach Süden, der neuen Bedrohung entgegen. Er hatte den Anfang gemacht und mit lauter Stimme eine estoreanische Hymne angestimmt, die zuerst von seinen Extraordinarii aufgenommen worden war, bis auch die anderen Soldaten und Kavalleristen unter seinem Kommando eingestimmt hatten.
Der Gesang ließ ihn schaudern. Dreißigtausend Stimmen erhoben sich zur Lobpreisung ihres Landes und der Konkordanz:
Estorea, schönes Estorea,
du Juwel in dieser Welt,
Wie weit der Marsch, wie schwer auch das Gefecht
Wir werden unserem großen Land gerecht.
Je der steht hier für den andren ein
Jeder kämpft mit Schwert und Pfeil
Alle Feinde müssen schließlich fallen
Der Sieg wird unsrer Konkordanz zuteil.
Im Herzen die Liebe zu unserem Gott
So ziehn wir für die Advokatin in den Krieg
Für Estorea singen wir aus einem Mund
Wir singen laut für unsren Sieg.
In den tsardonischen Lagern im Osten und jenseits des Flusses im Norden brannten Feuer. Auch dort drüben wurde nun gesungen, und schließlich herrschte ein unbeschreiblicher Lärm auf der Ebene. Gesteris sah sich beflügelt. Die ersten Scharmützel wurden mit Worten und Liedern ausgetragen, deren Bedeutung er gewiss nicht unterschätzte.
Gesteris war überrascht, aber zufrieden, dass die Tsardonier endlich den Kampf suchten. Wahrscheinlich bedeutete dies, dass die konkordantischen Truppen an den Flanken gute Fortschritte erzielten. Was auch immer der Grund war, er musste auf ein atemberaubendes Manöver der Feinde reagieren.
An der Ostseite des Flusses Tarit kam eine weitere Armee herauf. Die Konkordanz hatte überall in den Sümpfen im Süden Späher postiert, aber nicht mehr an der Schlucht, seit die Brücken zerstört worden waren. Auch wenn Gesteris nicht sicher war, ob die Zerstörung eine Kriegslist gewesen war, das Manöver rang ihm seine Achtung ab. Was ihn aber wirklich in Verlegenheit brachte, war die Tatsache, dass er weder die Gewitztheit noch die Fantasie besessen hatte, selbst auf diese Idee zu kommen.
Die Tsardonier hatten sechzig Meilen im Süden eine Schwimmbrücke gebaut. Sie waren es langsam angegangen und hatten nur gearbeitet, wenn die Heere einander am Fluss gegenübergestanden hatten. Unterdessen hatten sie neue Kräfte aus dem Zentrum nachgeführt, waren den Truppen von Jorganesh und Del Aglios ausgewichen und hatten die frischen Verbände in einem getarnten Lager auf trockenem Gelände warten lassen.
Als nach der Bestätigung der neuen Gefahr klar war, dass Gesteris noch zwei Tage blieben, um seine Streitkräfte einzusetzen, hatte er sich mit den kommandieren Offizieren aller drei Heeresteile getroffen. Jetzt, am dritten Morgen, war er bereit. Die Bürger der Konkordanz würden endlich ihren Kampf bekommen. Er hatte seine Verbände in vier Abteilungen untergliedert. Das Schwergewicht lag auf der rechten Seite und stand unter seinem eigenen Kommando. Es war ein Glücksspiel. Er musste die tsardonische Armee auf dieser Seite des Tarit möglichst schnell schlagen und konnte nur hoffen, dass seine verminderten Truppen an den Furten standhalten würden.
Er hatte alle Kataphrakten aus drei Heeren zusammengezogen und an den Flanken postiert. Im Zentrum setzte er zwei Phalangen ein. Mit Hilfe von Hastati-Schwertkämpfern wollte er an den Flanken durchbrechen, um das Tempo des Kampfes vorzugeben. Die Principes und Triarii unter anderen Kommandanten sollten überfallartig eingreifen und die Front unterstützen.
Gesteris traf nicht gern im rechten Winkel auf die feindlichen Truppen und hatte seine Kräfte eine Meile von den Furten zurückgezogen. Falls die Feinde durchbrachen, blieb noch genug Zeit, die hinteren Linien zu verstärken und einen organisierten Rückzug in die Lager anzutreten.
Als er sich seinem Ziel näherte, brach gerade die Morgensonne durch eine dünne Wolkenschicht, und er konnte die tsardonischen Truppen überblicken. Sie rückten in Kampfformation vor und boten einen beeindruckenden Anblick. Mehr als tausend Schritt breit war ihre Linie, als sie rasch über die Ebene liefen und den Felsnadeln auswichen. Das Trampeln ihrer Füße begleitete den Rhythmus ihrer Lieder.
An beiden Seiten ritt die Kavallerie, deren Schlachtordnung selbst aus mehr als einer Meile Entfernung imponierend war. Was Gesteris zu Rittmeisterin Kell gesagt hatte, die für die gesamte Kavallerie an dieser Front
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