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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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sein, und die Gegner hatten unzählige Gefangene genommen.
    Verflucht seien die Tsardonier, ihre Steine und ihre Hunde.
    Zwischen den Leichen hindurch bewegte sie sich zu dem Bereich zurück, wo vorher die Front gewesen war. Während sie sich dem Fluss näherte, war ihr die Gefährlichkeit ihrer Lage durchaus bewusst. Allein hinter den Linien des Feindes. Jeder Schritt jagte stechende Schmerzen durch ihre Rippen, und der schwierige Boden machte das Gehen schwer. Sie rutschte auf dem Schlamm und Blut aus und geriet in tiefe Hufspuren. Immer wieder stolperte sie und keuchte jedes Mal, als wäre sie geschlagen worden. Sie konnte noch nicht deutlich sehen, und die Trugbilder von Menschen und dunklen Umrissen verwandelten sich immer wieder in Felsnadeln oder entpuppten sich als Sinnestäuschungen.
    Blut und Leichen. Überall. Irgendwann stolperte sie ein letztes Mal und sank auf die Knie. Vor ihr breitete sich der Abfall des Krieges aus. Einige Gefallene bewegten sich sogar noch leicht. So weit ihr verschwommener Blick reichte, lagen sie herum wie von Gottes Hand verstreute Samenkörner. Zerrissene Kleider flatterten im Wind. Im Schlamm funkelten Waffen. Alles hatte dunkle Flecken und stank. Auf einmal bekam Kell große Angst.
    Sie nahm sich zusammen und sah sich um. Zwischen den Toten bewegten sich Gestalten, zweifellos Tsardonier. Sie durchsuchten die Toten auf dem Schlachtfeld, halfen ihren Kameraden und bereiteten den noch lebenden Feinden ein schnelles Ende. Bald würde sie selbst bemerkt werden, aber sie wollte nicht sterben. Nicht hier und nicht auf diese Weise.
    Sie wandte sich nach links. Das unebene Gelände und die Vielzahl der Körper verbargen hoffentlich ihre Bewegungen. So tastete sie sich weiter vor bis zum Fluss, wagte es nicht zurückzuschauen. Unter ihr war glitschiger Schlamm, über ihr stand die Sonne, die sie in ihrer Rüstung briet. Mit Blut vermischter Schweiß klebte auf ihrer Haut. Jede Bewegung war eine Qual. Sie schätzte, dass es höchstens noch fünfzig Schritte bis zum Flussufer waren, wo sie Deckung finden konnte. Eine Stunde voller verzweifelter, unendlich langsamer Bewegungen brauchte sie, bis sie endlich dort war, und die ganze Zeit musste sie befürchten, dass jemand ihr plötzlich die Hand auf die Schulter legte.
    Sie kroch durch Blutlachen, über die Leichen von Kameraden hinweg und durch die Innereien von Pferden, deren Leiber von den Lanzen der Steppenkavallerie aufgerissen worden waren. Als sie sich endlich über die Uferböschung ziehen konnte und auf der anderen Seite hinabrutschte, um am kühlen Wasser zu ruhen, war ihr Gesicht nass von Tränen der Verzweiflung und des Kummers.
    Kell rollte sich auf den Rücken und ließ ihren Körper vom Wasser kühlen, während sie weinte. Mit einer Hand hielt sie sich am Ufer fest und starrte zum Himmel hinauf. Die Sonne war inzwischen hinter der Böschung versunken, und ein kühler Wind wehte über den Fluss. Sie kühlte rasch aus und wälzte sich wieder in den Schlamm hinauf, wo sie im Windschatten der Böschung liegen blieb.
    Sie hatte hier eine Stelle gefunden, wo die Böschung ein wenig überhing. Hier war sie vorerst sicher. Vom Schlachtfeld aus war sie nicht zu sehen. Die erste Furt war etwa eine Meile entfernt hinter einer Flussbiegung. Weit entfernt von den Lagern, die ganz gewiss noch standen. Zweitausend Meilen in direkter Linie bis Estorr.
    Die Bilder, die ihr immer wieder durch den Kopf gingen, vermochte sie nicht zu unterdrücken. Wie überheblich sie gewesen waren. Wie sicher sie gewesen waren, am Ende den Sieg zu erringen. Wie gnadenlos sie übertölpelt worden waren. Wie viele von denen, die mit der Hymne der Konkordanz auf den Lippen marschiert waren, lagen jetzt tot unter Gottes vollkommenem blauem Himmel? Freunde, Geliebte und große Soldaten. So viele waren tot. Hoffnungslos und erschöpft schloss sie die Augen. Wenigstens versiegten die Tränen.
    Die Lieder weckten sie wieder. In einer Nacht voller Sterne riss sie die Augen auf. Einen Augenblick lang war sie verwirrt, ehe sie sich an ihre gefährliche Lage erinnerte. Es waren keine estoreanischen Siegeslieder, sie wurden nicht auf einer saftigen grünen Wiese von den Bärenkrallen von Estorr gesungen. Der Traum verschwand, ehe sie ihn richtig fassen konnte.
    Trotz des klaren Himmels war es eine warme, feuchte Nacht. Kell wartete, bis ihre Augen sich angepasst hatten, ehe sie sich rührte. Ihre Schmerzensschreie konnte sie kaum unterdrücken. Der Arm und die Brust waren

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