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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Geburt und das, was ihr seid, Gottes Wille ist. Sie möchten alles zerstören, was sie nicht verstehen.« Kovan drückte ihre Hände. Er hatte sie geängstigt, aber er war glücklich. Jetzt konnte er endlich die Worte sagen, die er auf dem Weg hierher im Sinn gehabt hatte. Worte, mit denen er ganz bestimmt ihr Herz gewinnen konnte. »Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand dir etwas antut. Ich werde immer da sein, um dich zu beschützen. Immer.«
    Darauf strahlte sie und drehte ihre Hände, um nun auch seine zu fassen. Ein Schauder durchlief ihn.
    »Danke, Kovan.« Sie stand auf, und er folgte ihrem Beispiel. »Jetzt muss ich aber wirklich weiter mit diesem Baum arbeiten, sonst wird Vater Kessian böse.«
    »Wie ist er denn?«, fragte Kovan. »Wie er wirklich ist, meine ich.«
    »Er ist alt«, sagte Mirron und schluckte schwer. »Er wird oft krank. Obwohl er es gern verbergen möchte, hat er, glaube ich, Mühe beim Atmen. Doch er will sich nicht von Ossacer untersuchen lassen. Eines Tages, sehr bald schon, wird er nicht mehr da sein, um uns anzuleiten. Ich weiß nicht, wie wir damit zurechtkommen sollen.«
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Das wird für uns alle schwer, aber vor allem für euch.«
    Sie nickte und drehte sich zum Baum um. »Ich darf nicht herumtrödeln.«
    Damit legte sie die Hände auf die rissige Rinde und zuckte sofort heftig zusammen. Sie keuchte und hielt sich am Stamm fest, schloss die Augen, beugte sich vor und lehnte auch die Stirn dagegen, während sie leise und qualvoll stöhnte.
    »Mirron, was ist los?«
    Sie antwortete nicht. Sie schauderte, und ein Speichelfaden rann über ihr Kinn. Sie knirschte mit den Zähnen. Kovan machte einen Schritt auf sie zu, blieb stehen und starrte ihre Hände an. Ihre Fingerspitzen waren graubraun verfärbt wie die Rinde. Diese Verfärbung breitete sich vor seinen Augen über ihre ganze Hand aus, und ihre Haut warf Falten. Die Adern auf dem Handrücken schwollen an und pochten als grünliche Linien in der grauen und braunen Haut.
    Dann stieß sie einen schmerzvollen Schrei aus. Sie wollte etwas sagen, bekam aber kein klares Wort heraus. Kovan wusste nicht, was er tun sollte. Wie gebannt starrte er ihre Hände an, die faltig und runzlig waren wie die Baumrinde. Er wollte sie fortreißen, war aber nicht sicher, ob er ihr damit mehr schadete als nutzte. Dann wollte er den Baum anschreien, dass er sie tötete, während sie ihn heilen wollte.
    »Mirron, zieh dich zurück«, sagte er. »Zieh dich zurück.«
    Er kam näher und streckte eine Hand aus, berührte sie an der Schulter. Sie fuhr zusammen, riss die Hände zurück und sank ihm in die Arme. Dankbar hielt er sie fest und ließ sich mit ihr ins Gras sinken. Sie atmete schwer und packte den Rücken seiner Toga. Dicht vor ihm pochte ihr Herz, rasend schnell vor Angst.
    »Schon gut«, sagte er und streichelte ihr schweißnasses Haar. »Schon gut. Ich halte dich fest.«
    Er blickte zum Baum. Wo ihre Hände den Stamm umfasst hatten, war die Rinde verschwunden. Zwei Abdrücke, die aussahen, als hätte sie die Hände in Farbe getaucht und daraufgepresst, prangten nun dort. Wo ihre Füße gestanden hatten, war das Gras lang, aber einige Halme waren verwelkt und braun.
    »Was ist passiert?«, fragte er. »Was ist passiert?«
    Mirron zog sich von ihm zurück, sie zitterte am ganzen Körper. Dann starrte sie ihre Hände an, als hätten die sie im Stich gelassen. Die Farbe der Rinde war verschwunden, aber die Haut war immer noch runzlig und trocken. Alt.
    »Mirron?«
    Voller Angst waren ihre Augen, als sie sich an ihn wandte. Tränen rollten über ihre Wangen.
    »Hole Vater Kessian«, sagte sie. »Hole die Aufgestiegenen. Bitte, beeile dich.«
    Kovan legte sie im Schatten eines anderen, gesünderen Baums ins Gras und rannte, auf dem ganzen Weg laut rufend, nach Westfallen hinunter.

 
30

     
    848. Zyklus Gottes, 2. Tag des Solasauf
    15. Jahr des wahren Aufstiegs
     
    E s war Nacht, und Kovan zitterte immer noch. Am Nachmittag hatte er zu schlafen versucht, aber der Schrecken hatte ihn nicht losgelassen, und auch in seinen Träumen hatte er nur Mirrons Verwandlung gesehen. Manchmal waren es nur ihre Hände gewesen, manchmal waren Blätter aus ihrem Körper gewachsen, und ihr Gesicht hatte ausgesehen wie krankes Holz.
    Er hatte nichts tun können, außer mit anderen darüber zu reden, aber auch das hatte nichts genützt. Seine Mutter hatte ihn getröstet, sein Vater hatte ihn in die Villa begleitet, wo Vater Kessian

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