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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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genau hin. Ja, sie war es.
    Elsa Gueran, deren Gesicht nur noch eine Maske aus Blut und wirren Haaren war, in unordentlichen, zerrissenen und blutigen Roben. Obwohl sie nichts weiter getan hatte, als zu lächeln, zu lieben und Gottes Wort zu predigen. Zornige Rufe wurden laut, Fäuste wurden drohend gehoben. Rings um das Forum wurden Bogen gespannt, und hier und dort schritten Ordenssoldaten ein und unterbanden mit Tritten und Schlägen die Unruhe.
    »Warum seid ihr so zornig?«, rief die Kanzlerin. »Diese Frau hat geschworen, fromm und nur unserem Gott treu zu sein. Dennoch hat sie nicht nur untätig die Ketzerei in eurer Mitte geduldet, sondern sie sogar aktiv unterstützt. Ihr solltet mir zujubeln, weil ich ihre Verbrechen aufdecke und sie dafür bestrafe. Ihr müsst an eure Leserin glauben. Aber wie könnt ihr an eine glauben, die Gott den Rücken kehrt?«
    Wieder breitete sich Schweigen auf dem Forum aus. Wie alle anderen wusste Mirron genau, dass es keine Gerechtigkeit geben würde. Es würde keine Anhörungen und keine Verhandlungen geben. Unter dem Schleier der Gottesfurcht und mit Billigung der Kanzlerin würde es Hinrichtungen geben, obwohl sie doch mehr als jeder andere die Aufgabe hatte, jeden zu beschützen, der auf Gottes Erde wandelte. Auf der Bühne hatte jedoch der erste Akt eines grässlichen Dramas begonnen, das vor den verängstigten, wie gebannt zuschauenden Einwohnern aufgeführt wurde.
    »Was habt Ihr sie denn überhaupt gefragt?« Kessians Stimme zitterte, war aber voller Leidenschaft. »Kümmerte Euch die Wahrheit, oder suchten Eure Schläger nur einen Vorwand, um eine unschuldige Frau zu verprügeln? Wie kommt es, dass die Unwissendste unter uns allen über uns richten soll? Wie kommt es, dass Ihr, die Ihr doch neue Gründe suchen solltet, um Gott zu preisen, kaum dass Ihr sie findet, Euch so bedroht fühlt, dass Ihr die Menschen tötet, um alles wieder zu unterdrücken?«
    Mirrons Herz sang, als sie seine Stimme hörte, und einen Moment lang wich die Todesangst von Westfallen. Doch während er gesprochen hatte, war Koroyan zu ihm geschlendert. Jetzt stand sie vor ihm. Er zuckte mit keiner Wimper.
    »So gut gewählt sind die Worte des Bösen«, sagte sie. »So verführerisch ist deine Stimme, Ardol Kessian, Vater dieser Ketzerei. Wie immer suchen sich alle, die Gott vernichten wollen, in das Gewand der Rechtschaffenheit zu kleiden.«
    »Vernichten?«, erwiderte Kessian entsetzt. »Wollt Ihr uns nicht zuhören, Kanzlerin? Wollt Ihr nicht sehen, was hier geschieht, und dass alle, die daran beteiligt sind, fest an die Heiligkeit Gottes glauben?«
    »Ich will es nicht sehen, ich wage es nicht anzusehen«, erwiderte Koroyan.
    »Ihr wagt es nicht anzusehen, weil Ihr fürchtet, die Wahrheit zu erkennen.«
    Mirron keuchte. Elsa hatte sich eingeschaltet. Ihre Stimme war undeutlich aufgrund ihrer Verletzungen, aber sie hielt den Kopf aufrecht, während ihre Häscher sie noch an den Armen gepackt hatten. Koroyan fuhr auf dem Absatz herum und schritt über das Oratorium zu ihr hinüber, um anklagend mit dem Finger auf Elsa zu zeigen.
    »Seht ihr?«, rief sie an die Menge gewandt. »Seht ihr die Verdorbenheit, die das Böse mit sich bringt? Die Verwirrung dieses einst reinen Geistes?« Sie fasste Elsa am Kinn. »Beinahe empfinde ich Mitleid mit dir, Mädchen. Denn du bist es, die nichts sieht. Ich muss mich deiner Wahrheit nicht stellen. Ich bin die Wahrheit.«
    »Dann seid Ihr blind«, erwiderte Elsa. »Denn nur die Blinden können den Glauben und die Liebe zu Gott in dieser Stadt übersehen.«
    Koroyan trat einen Schritt zurück, ihr Gesicht war vor Verachtung verzerrt. »Diese Beleidigungen gehen zu weit«, sagte sie. »Du hast bereits Verbrechen gestanden, die mit dem Tode und dem Verstreuen der Asche für die Windteufel bestraft werden. Jetzt wagst du es auch noch, meinen Glauben infrage zu stellen?«
    »Ich bitte Euch nur, die Augen zu öffnen«, erwiderte Elsa.
    »Nicht ich bin es, die von ihren eigenen Augen getäuscht wird.«
    »Lasst euch nicht von ihr fangen!«, rief Elsa zur Menge und für jeden, der es hören wollte. »Lasst euch nicht von ihr einreden, wir wären Gott nicht ergeben. Lasst euch nicht von ihr davon abbringen …«
    Fast zu schnell, als dass man es mit dem Auge verfolgen konnte, packte die Kanzlerin Elsas Haar und riss ihren Kopf zurück. Ihre Gewänder wallten, und Mirron sah Silber blitzen, das sich von links nach rechts bewegte. Als sie wieder zurücktrat, spritzte das

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