Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
bin ich hier. So kann ich dazu beitragen, dass die Inquisitoren der Kanzlerin Westfallen fernbleiben. Aber wie unser Glaube an den Zyklus des Lebens ist auch der wahre Weg der Aufgestiegenen eben nur dies – ein Glaube. Oder das war er. Wirkliche Beweise hat es bisher nicht gegeben. Jetzt werde ich jedoch damit konfrontiert. Es ist, als befände ich mich auf einmal in der Gegenwart Gottes. Das macht mir Angst, und ich glaube, Bryn empfindet ähnlich.«
»Lass das ja nicht die Aufgestiegenen hören. Wenigstens einer von ihnen gibt sich jetzt schon genügend Täuschungen über die eigene kommende Großartigkeit hin.« Kessian sprach halb im Ernst und halb scherzend.
»Ja, darauf müssen wir Acht geben«, stimmte Elsa zu, und sie lächelte nicht einmal. »Hör mal, Ardol, wir haben es hier mit dem bestgehüteten Geheimnis der ganzen Konkordanz oder vielleicht sogar auf Gottes ganzer Erde zu tun. Der Orden glaubt heute noch, er hätte dem ein für alle Mal ein Ende gesetzt, als er Gorian tötete. Du weißt besser als jeder andere, wie schwer es war, sie in diesem Glauben zu lassen. Was ich gesehen habe … guter Gott der Welt, jetzt sind auch andere Frauen schwanger, deren Kinder das gleiche Potenzial haben könnten. Das kann doch nicht ewig ein Geheimnis bleiben.«
»Ich weiß«, erwiderte Kessian. »Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass Marschall Vasselis hergekommen ist.«
»Ich meine, diese Kinder sind doch das, was wir unserem Glauben nach in den kommenden Generationen alle sein sollten.« Elsa hielt inne und starrte ihn an, als sie das Forum durch eine stille Seitenstraße verließen und sich der Schmiede näherten. »Kannst du dir vorstellen, was dies für den Orden bedeutet? Sogar für die ganze Konkordanz? Es wird sicher keine Aufmärsche mit Flaggen geben, um ihre Ankunft zu begrüßen. Man wird sie nicht bereitwillig akzeptieren. Lieber Ardol, diese Menschen, die du geschaffen hast … ihr Kampf hat gerade erst begonnen. Du kannst sie nicht hier festhalten. Was sie sind, ob es real ist oder nur eingebildet, will ans Licht. Darauf bereite ich mich vor. Ich schlage vor, dass die Autorität meinem Beispiel folgt.«
»Das tun wir, Elsa. Deshalb will ich jetzt mit Bryn reden«, erwiderte er, auch wenn er das Gefühl hatte, dass seine Worte mehr als unzulänglich waren. »Bei alledem ist uns auch klar, dass wir recht naiv vorgegangen sind. Wir alle, was auch dich einschließt. Erst jetzt beginnen wir die möglichen Konsequenzen unserer Vorarbeit wirklich zu erkennen. Alles war auf die Schöpfung konzentriert, wir haben zu wenig Aufmerksamkeit auf die Aufklärung verwendet. Die Konkordanz ist groß, der Orden ist mächtig und äußerst misstrauisch. Es wird nicht leicht werden.«
»Ardol Kessian, deine Gabe zur Untertreibung hat durch dein Alter gewiss keinen Schaden genommen.«
Die Schmiede war kalt, das Haus still, die Läden geschlossen. Empörte Kunden hatten Zettel an die Tür geheftet, anscheinend waren sogar einige Stücke aus dem Hof mitgenommen worden. Schwer zu sagen, ob es sich um Diebstahl oder die Bergung von eigenem Besitz gehandelt hatte.
Kessian klopfte mit seinem Stock kräftig an die Tür, rechnete aber nicht damit, eine Antwort zu bekommen. Die Schmiede lag an einer Kreuzung stiller Seitenstraßen. Kleine, terrassenförmig angelegte Häuser, in deren Erdgeschossen sich verschiedene Geschäfte befanden, standen an den gewundenen Pflasterstraßen. In der Vormittagshitze befanden sich die meisten Kunden und Verkäufer im Innern der Läden, aber in einer so kleinen Stadt erregten ungewöhnliche Vorgänge rasch die Aufmerksamkeit der Einwohner.
Fragend sah er Elsa an, die daraufhin mit den Achseln zuckte. »Was bleibt uns schon übrig? Die ganze Stadt weiß, dass er mit dem Programm des Aufstiegs zu tun hat. Es war klar, dass wir kommen würden. Aber vergiss nicht, warum wir hier sind, Ardol. Wir müssen ihn davon abhalten, während der Feiern einen Fehler zu begehen, denn sonst werden die Neuigkeiten unkontrolliert verbreitet.«
Kessian nickte. »Du weißt ja, dass wir es bald der Stadt mitteilen müssen, oder? Viele vermuten sicher schon, dass es einen Durchbruch gegeben hat.«
»Ja, aber auf die Art und Weise, wie wir es besprochen haben. Eins nach dem anderen, Ardol.«
Elsa hämmerte mit der Faust an die Tür, Kessian nahm wieder seinen Stock zu Hilfe.
»Bryn!«, rief Kessian. »Öffne die Tür. Wir wollen dir helfen. Ardol und Elsa sind hier. Nun komm schon.«
Er sah sich um. In
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