Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
Vom Netzwerk:
Triumphgefühl.
     
    Ehrfürchtig schweigend wie alle anderen hatte Kessian Gorians Vorführung beobachtet. Er schämte sich, dass er die Behauptungen des Jungen wie schon so oft für Überheblichkeit und Großspurigkeit gehalten hatte. Glücklicherweise hatte Vasselis die Situation richtig eingeschätzt.
    Eigentlich hätte ihn die Vorführung lange nicht so beeindrucken sollen wie die Vorgänge dahinter, aber er konnte nichts dagegen tun.
    Nichts in Gorians Schriften hatte sie auf das vorbereiten können, was sie in den letzten paar Tagen erlebt hatten. Natürlich hatte er nur Theorien aufstellen können, da er so etwas noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Inmitten seines Erstaunens aber fand Kessian noch die Zeit, sich über Gorians Wahrnehmungsfähigkeit zu wunden.
    Er wurde seinem Namensvetter gerecht. Ein Knabe, dem sicherlich eine ähnliche mythische Größe vorbestimmt war, der in diesem Augenblick aber hinter einem mindestens drei Fuß hohen Urwald aus Gras verschwunden war. Vor Kessians Augen waren die Halme schneller, als er bis dreißig zählen konnte, auf die zehnfache Größe gewachsen. Dabei waren in Gorians Gesicht Falten entstanden. Keine sehr tiefen, und es hätte auch die Anstrengung sein können, aber Kessian glaubte es nicht. Der Junge hatte kleine Krähenfüße um die Augen bekommen, bevor das Gras ihn verdeckt hatte.
    Jetzt lag er still am Boden, und Meera Naravny, seine Mutter, eilte zu ihm. Die anderen waren nicht weit hinter ihr. Mirron und Arducius stürzten sich förmlich auf ihn und umarmten ihn, Mirron heftig und Arducius etwas sanfter, aber beide beglückt über seinen Erfolg. Die anderen strichen mit den Händen durchs schimmernde hohe Gras, alle lächelten und waren zufrieden.
    Was die Autorität geplant hatte, war nun geschehen. Kessian empfand eine Wärme in sich, die nichts mit den Strahlen der Sonne zu tun hatte. Sein Schritt war fest und zielstrebig wie schon lange nicht mehr. Die Freude, die er im Herzen empfand, ließ ihn seinen schmerzenden, alten und müden Körper fast vergessen.
    Wie die anderen strich auch er mit der Hand durch das neu gewachsene hohe Gras und betrachtete es neugierig und mit gerunzelter Stirn. Im lebendigen grünen Dickicht fanden sich auch einzelne braune und spröde Halme, die vertrocknet waren. Vielleicht konnte Gorian es später erklären. Jedenfalls war es recht seltsam.
    Meera hatte Gorian umarmt und kniete vor dem erschöpften Aufgestiegenen, nachdem sie seine Freunde verscheucht hatte. Sie strich ihm übers Haar und redete leise, beruhigend und stolz auf ihn ein. Er klammerte sich an sie und war froh über ihre Nähe und Wärme. »Sieh dir das mal an«, sagte sie. »Hier auf der Seite, Ardol.« Kessian ging zu ihr. Meera deutete auf Gorians Schläfe. Zuerst sah er nicht, was ihr Sorgen machte, aber dann war es völlig klar. Seine Haare. Zwischen den vollen jungen Haaren waren graue Strähnen gewachsen.
     
    Kessian konnte Vasselis’ Frage nur mit einem Achselzucken beantworten. Die beiden Männer speisten allein in einem kleinen Privatzimmer der Villa. Im großen Esszimmer bewirteten Netta und Kovan Vasselis die übrigen Mitglieder der Autorität.
    Es war ein Tag voller Gegensätze gewesen. Erst die Verzweiflung über Bryns Verfassung, dann die Freude über Gorians Erfolg, jetzt wieder die erdrückende Realität, mit der sie sich zwangsläufig beschäftigen mussten.
    »Gewiss gibt es viele Auswirkungen des Aufstiegs, die uns noch nicht bekannt sind. Wir werden auf den jungen Gorian gut aufpassen, auch wenn ich sicher bin, dass er sich bald erholen wird.«
    Sie hatten den Jungen, dessen Beine ihn kaum noch tragen wollten, zur Kutsche geführt. Neben den grauen Haaren hatte er tatsächlich Fältchen um die Augen, wie Kessian schon vorher bemerkt hatte. Sie waren auch dann geblieben, als Gorians breites Lächeln verblasst war. Viele Dinge mussten jetzt dokumentiert werden. Genna und Meera hatten schon vor dem Abendessen damit begonnen.
    Seufzend richtete Kessian sich auf seiner Liege etwas auf. Zwischen ihm und Vasselis standen die Überreste ihrer Mahlzeit auf einem niedrigen Tisch: Brot, Hammel, gebratenes Gemüse. Kräftige Soßen dampften leicht in wundervoll geformten und dekorierten Krügen, die aus den Töpfereien von Atreska stammten. Ein halb voller Krug mit gewürztem, erwärmtem Rotwein stand neben Vasselis’ rechter Hand. Kessian winkte dem Marschall mit seinem leeren Kelch, während er die Tafel betrachtete und zu der Ansicht kam,

Weitere Kostenlose Bücher