Die Kinderhexe
Dornbusch schenkte sich erneut ein und trank. Das war ihm ja noch nie passiert, dass sich ein Mädchen derart schamlos benahm. Wobei er sich fragte, ob die Bezeichnung «Mädchen» bei ihr wirklich noch zutraf, nachdem sie ihm die Hand zur Brust geführt hatte.
«Es tut mir leid», fuhr sie fort, «das wollte ich nicht. Aber zugeben müsst Ihr schon, dass Ihr Euch getäuscht habt.»
Sie lächelte ihn offen an, und Dornbusch konnte nicht umhin, den Blick zu erwidern. Ihre Sorglosigkeit hatte etwas Ansteckendes, dem er sich nicht entziehen konnte. Zu Hause wartete seine Frau Felicitas auf ihn. Dann war es vorbei mit dem Lächeln und den kecken Worten. Natürlich würde sie von ihm wieder Rechenschaft über seinen Aufenthalt im Wirtshaus verlangen, dem Ort, wo der Teufel umherging, und natürlich würde auch dieser Abend wieder im Streit enden, wie so viele in den vergangenen Monaten.
«Sei’s drum», sagte er kurzerhand. «Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.»
So setzte er sich zu Grit, und beide redeten und tranken bis spät in die Nacht. Felicitas’ mahnende Worte gerieten in Vergessenheit, was ihn jedoch nicht betrübte, sondern erleichterte. Schon lange war er nicht mehr so ausgelassen gewesen, losgelöst von jedweden Sorgen und Pflichten und frei von der Erinnerung an drei tote Kinder.
Als Valthin auf den Hof kam und zum Aufbruch mahnte, waren aus dem einen Krug Wein drei geworden.
«Ist es schon so weit?», fragte Dornbusch stark angetrunken.
«Ja, werter Herr», antwortete Valthin. «Ich muss Euch leider bitten zu gehen. Der Bischof …»
«Zum Teufel mit ihm», winkte Dornbusch mürrisch ab und stand auf. Aber Sitzen war einfacher als Stehen, und so griff Grit ihm unter die Arme.
«Lasst mich Euch helfen.»
Er ließ es geschehen. Sie führte ihn allerdings nicht hinaus auf die Straße, sondern die Stufen hoch in ihre Kammer.
«Wo willst du mit mir hin?»
«Grämt Euch nicht länger. Ich will Euch vergessen lassen.»
Das war ein verlockender Gedanke, und Dornbusch ergab sich ihm schließlich.
Das war vor drei Nächten gewesen, und seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Hatte er ihre gemeinsame Nacht etwa schon vergessen?
Grit lag hinter einem Mauervorsprung auf der Lauer, den Eingang von Neumünster im Blick. Die Bürger strömten zum Morgengebet in die Kirche, in deren Keller die Gebeine des heiligen Kilian und seiner Gefährten lagen, die in Zeiten der Not um Hilfe angerufen wurden. Allen voran kamen die Kinder, dann die Weiber und zum Schluss die ehrwürdigen Herren, unter ihnen auch einige Stadträte. Christian war jedoch nicht dabei.
Als die Kirchentür geschlossen wurde, kam Grit aus ihrem Versteck und blickte sich verwundert um. Hatte Valthin nicht gesagt, dass Christian mit den anderen Stadträten das Morgengebet besuchte?
Enttäuscht machte sie kehrt – und lief ihm direkt in die Arme. Er kam aus einer der engen Seitengassen, die zum Markt führten. Das Aufeinandertreffen mit Grit hätte er offenbar gerne vermieden, auch schien er in Eile. Er fühlte sich sichtlich unwohl.
«Grit, was machst du hier?»
«Ich wollte dich sehen. In den Stachel kommst du ja nicht mehr, und der Weg zu meiner Kammer ist dir auch zu weit.»
Wie ein Vater seine ungehorsame Tochter für eine Belehrung unter den Arm greift, führte Christian sie von der Tür weg, die sich jederzeit öffnen konnte. In der Seitengasse war es sicherer.
«Ich bin ein verheirateter Mann», sagte er streng. «Ich kann mich nicht mit einem anderen Weibsbild in der Öffentlichkeit sehen lassen.»
«Dann komm mit zu mir», antwortete Grit trotzig.
Christian legte ihr den Finger auf den Mund. «Schweig, ich will nichts davon hören. Weiß der Teufel, wie ich in jener Nacht in deine Kammer gekommen bin. Es kann nicht mit rechten Mitteln zugegangen sein. Nie würde ich ein fremdes Weib begehren.»
Grit lächelte spöttisch. «Der Teufel hat damit gar nichts zu tun.»
«Wie meinst du das?»
«Dass es keinen Teufel braucht, wenn du mir das Mieder löst. Das hast schon ganz alleine du vollbracht.»
«Ich kann mich nicht erinnern. Ich war betrunken.»
Grit kam näher und legte ihre Arme um ihn. «Berauscht ist das bessere Wort. Berauscht von mir?»
Doch Christian stieß sie zurück. «Ich habe nichts mit dir zu schaffen. Geh fort und schenke uns beiden Frieden. Hörst du?»
Dann ließ er sie stehen und eilte auf das Neumünster zu.
Grit blieb im Dunkeln zurück. Es musste einen
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