Die Kinderhexe
bekenne deine Schuld – so wie du es gelernt hast.»
Und Otto begann unter Tränen: «Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe …»
Während Otto diese Worte sprach, zog Ludwig ihn bei den Haaren und führte ihn vor die Klasse. Dort stand ein Stuhl bereit.
«… darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn. Amen.»
Er wies Otto an, sich zu bücken. Die übrigen Schüler hatten das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Die Rute gab den Takt vor.
«Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde …»
Im Takt der Worte fuhr die Rute auf den kleinen Körper herab, ein ums andere Mal, während der monotone Singsang der Kinder Ottos Schreie begleitete.
Kathi flehte zu Gott, dass dieses Elend ein Ende haben möge. Aber davon war so schnell nicht auszugehen. Die Schule und die Prügel würden die Kinder während der nächsten Jahre begleiten, solange ihre Eltern das Geld noch aufbrachten, um es diesen feinen Brüdern in den Rachen zu werfen.
Sie blickte zur Seite und sah die totenbleiche Barbara, die in der Gerberei alles Leben zu verlieren schien. Nicht anders war es bei Ulrich, gleich neben ihr, der bei einem Hutmacher in die Lehre ging. Nach einigen Wochen hatten seine Glieder unwillkürlich zu zucken begonnen, drei Finger der rechten Hand waren taub. Das Quecksilber und das Arsen im Wasser würden ihn bald zum Krüppel machen. Und da war Benedikt, der Älteste unter ihnen. Er war dreizehn Jahre alt und arbeitete bei einem Drechsler. Er hatte die große Hoffnung, bald auf Wanderschaft gehen zu können, ja gehen zu müssen. Die Schwester seiner Mutter war im letzten Herbst auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis auch Benedikt und seine Eltern die zweifelhafte Aufmerksamkeit der Hexenkommissare erregen würden. Flucht war der einzige Weg, um zu überleben.
Die Züchtigung von Otto neigte sich dem Ende zu. Die letzten Hiebe ertrug er, ohne zu schreien. Der Körper gewöhnte sich an den Schmerz.
So musste es auch bei Jesus gewesen sein, dachte Kathi.
Ringsum hingen kleine, bemalte Tafeln, die seinen Leidensweg zeigten – vom Einzug in Jerusalem und seiner Gefangennahme bis zum Tod am Kreuz. Seltsam, wie friedlich er zum Schluss seiner Peinigung aussah. Nur der Anfang war schwer gewesen. Im Garten Gethsemane war er verzweifelt gewesen, hatte Todesängste ausgestanden. Sein Schweiß war wie Blutstropfen zu Boden gefallen, hatte sie in der Bibel gelesen. Ein Engel musste vom Himmel herabkommen, um ihn zu stärken. Aber am Kreuz wirkte er erlöst.
Es ist vollbracht.
Danach hatte er diese Welt der Schmerzen hinter sich gelassen.
Was für ein starker Mensch dieser Jesus von Nazareth gewesen sein musste. Dabei hatte er als Kind gar nicht so ausgesehen. Drüben am Fenster hing ein Bild von seiner Geburt in Bethlehem. Darauf wirkte er nackt und zerbrechlich. Einer der Hirten hätte ihn leicht mit einem Stockschlag töten können. Oder die drei Könige hätten ihn mit ihren goldenen Dolchen aufspießen und den Wölfen zum Fraß vorwerfen können. Eigentlich waren sie dazu verpflichtet gewesen, schließlich hatte König Herodes nach ihm suchen lassen. Aber seltsamerweise war nichts von alldem geschehen. Wieso eigentlich? Statt dieses schwache und hilflose Kind den Soldaten auszuliefern, beugten Hirten und Könige das Knie vor ihm.
Rätselhaft und ein wahres Wunder. Worin hatte die Macht dieses kleinen Jesus bestanden?
Die Antwort musste warten. Es klopfte ans Fenster. Auf der Straße stand Bruder Sebastian und gab Ludwig ein Zeichen. Das Urteil würde gleich verkündet werden. Er solle sich beeilen.
«Ihr habt es gehört», sprach Ludwig zu den Kindern. «Steht auf und folgt mir nach draußen.»
So froh Kathi und die anderen auch waren, dass der Unterricht für heute beendet war, so würden sie nun Zeuge eines weiteren grausamen Spektakels werden.
Es war Brandtag in der Stadt, bereits der zweite in diesem Monat. Wegen Hexerei stand die wohlhabende Witwe Glöckner unter Anklage. Viele hatten geglaubt, ihr Reichtum und ihr Einfluss würden sie vor dem Scheiterhaufen bewahren. Doch letzten Endes war es anders gekommen. Man munkelte, dass sie gerade wegen ihres Reichtums und Einflusses besagt worden war.
Es gab da einen Neffen, einen Tunichtgut, der fortwährend in
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