Die Kinderhexe
herumtrieben. Sie verlegten ihre Jagd ins Tal, wo noch ein paar Feuer brannten und manch anderes Beutetier lockte. Sie überließen ihr Revier anderen Jägern, die, am Tag unsichtbar, in der Nacht zum Leben erwachten.
Eine Spinne bezog Position am Rande ihres Netzes, bereit loszuschlagen, wenn sich die Beute in ihrem klebrigen Geflecht verfing. Durchs Gras glitt eine Schlange, blind wie die Menschen, aber mit einem feinen Geruchssinn ausgestattet, der sie direkt zur Erdhöhle einer unvorsichtigen Maus führte.
Hoch über alldem flatterte ein Tier, ein überraschend kleines, dem aber ein großer Zauber nachgesagt wurde, eine Fledermaus. Sie war der unbestrittene König des Nachtflugs. Viele meinten, der Teufel selbst reite auf ihren Schwingen durch die pechschwarze Nacht und finde mit rätselhafter Sicherheit sein Ziel.
Vielleicht dachte man im Zusammenhang mit ihr auch deshalb an den Teufel, weil die Fledermaus tagsüber nicht zu sehen war und an finsteren Orten kopfüber auf das Hereinbrechen der Nacht wartete. Nicht wenige wollten den Teufel schon in der gleichen Position gesehen haben.
Die Luft war drückend schwer in dieser Nacht. Im Kessel des Maintals hatten sich die Wolken gefangen und drängten sich zusammen, nirgendwo gab es ein Entweichen. Erste Blitze teilten den Nachthimmel.
Die Fledermaus spürte das drohende Gewitter wohl, wagte es aber dennoch, in die Stadt hinunterzufliegen, wo sie um die Feuer am Flussufer noch Scharen von Fliegen vermutete. So flog sie los, blind, aber sehend mit ihren großen Ohren, die Hindernisse sicher und rechtzeitig erkannten. Außer in der Nacht zuvor, als ein verirrter und nachts hilfloser Rabe unvermittelt ihren Weg gekreuzt hatte.
Ihr erster Weg führte sie hinüber in die Keller der Burg auf dem Frauenberg. Obwohl die Aussicht auf Beute bei der großen Konkurrenz hier eher gering war, so schwirrten in den Ställen der Pferde, Schweine, Kühe und Ziegen doch so viele Fliegen herum, dass sie für alle reichten.
Einzig ein Mensch störte, der mit seinem lauten Rufen und Pochen gegen das Tor die Beute verjagte.
«Aufmachen», forderte Christian, «Stadtrat Dornbusch wünscht zum Bischof vorgelassen zu werden.»
Seine Stimme war nicht mehr so kräftig und sein Pochen nicht mehr so fest wie noch zwei Stunden zuvor. So lange drang er schon auf ein Gespräch mit dem Bischof. Das schriftlich formulierte Bittgesuch hatte dieser zwar angenommen, aber eine Antwort war er bislang schuldig geblieben.
Er solle nach Hause gehen, hatte ihm der Sekretär ausrichten lassen. Der Bischof sei bereits zu Bett und werde am nächsten Tag entscheiden. Niedergeschlagen machte sich Christian endlich auf den Heimweg.
Oben, aus einem Fenster am Fürstenbau, schien noch Licht in die Nacht hinaus. Die hungrige Fledermaus ortete Fliegen an einem Fenster, die nach einem Schlupfloch ins Innere suchten. Die Gier machte sie unvorsichtig, und so genügte dem Tier ein Anflug, um zwei Fliegen auf einmal zu fangen.
Faltermayer öffnete das Fenster und horchte in die Dunkelheit. «Er hat aufgegeben», sagte er zum Bischof, der im Hintergrund mit einem Glas Wein im Sessel saß. «Wie aufdringlich diese Städter doch sein können.»
Bischof Philipp von Ehrenberg war nicht wohl in seiner Haut. Er wirkte nervös.
«Sie streitet immer noch alles ab?» Der Bischof hatte die Frage schon mehrfach gestellt.
«Ja, mein Fürst. Das Loch vom Grünenbaum hat sie nicht eines Besseren belehren können. Morgen verlege ich sie in den Kerker. Wenn sie die Instrumente sieht und die Schreie hört, wird ihr Widerstand brechen.»
«Was macht Euch so sicher?»
«Die menschliche Natur. Niemand kann ihr entkommen, selbst eine Heilige nicht.»
«Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Diese Dornbusch ist immer noch sehr beliebt im Volk, und daran haben auch die Vorwürfe dieser seltsamen Mädchen nichts ändern können.»
«Vertraut mir, mein Fürst. Am Ende hat noch jede gestanden.»
Der Bischof ließ sich so nicht besänftigen. Allmählich zwängte sich ihm ein Verdacht auf. «Was liegt Euch eigentlich an dem Weib, dass Ihr sie unbedingt brennen sehen wollt?»
Die Frage hätte Faltermayer beunruhigen sollen, aber er sah in seinem neugierigen Bischof keine Gefahr. Er schenkte sich ein Glas ein.
«Ein wahrlich guter Tropfen. Vom Stein? Muss wohl einer der besseren Jahrgänge sein.»
«Ich habe Euch etwas gefragt», insistierte von Ehrenberg. «Wieso wollt Ihr das Weibsbild aus dem Weg schaffen?»
Faltermayer
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