Die Kinderhexe
antwortete ausweichend. «Ihr kennt das Gleichnis vom guten Hirten …»
«Sicher», antwortete der Bischof, eine Spur ungehalten. «
Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen …
Was wollt Ihr damit sagen?»
Faltermayer nickte. «Ihr seid der gute Hirte, mein hochwohlgeborener Fürst. Kein Zweifel. Ihr tragt den Bischofsrock und den Hirtenstab. Die Bürger, Eure Schafe, beugen das Knie vor Euch. Jeder kann das sehen.»
Von Ehrenbergs Irritation wuchs. «Was wollt Ihr damit sagen?»
«Nun,
liebt
das Volk Euch auch, wie die umherirrenden Schafe ihren fürsorglichen Hirten lieben? Oder respektiert es Euch nur als Stellvertreter unseres Heiligen Vaters, des Papstes, der wiederum selbst der Stellvertreter des Allmächtigen hier auf Erden ist?» Er zitierte die entsprechende Stelle aus dem Gleichnis. «Genauso wie sie den
Mietling
respektieren müssen, der kein richtiger Hirte ist, sondern ein bestellter, dem die Schafe nicht eigen sind und der sie verlässt, sobald der Wolf naht?»
Der Bischof legte die Stirn in Falten.
«Ihr meint, das Volk liebt dieses Weibsbild mehr als mich?»
«Ihr sitzt hier oben auf der Burg, sie aber lebt unter ihnen, wie ein guter Hirte inmitten seiner Herde. Ihr Lebenswandel ist makellos. Sie gilt als Vorbild und wird geschätzt, ja fast als Heilige angesehen.»
Von Ehrenberg verstand. «Was wollt Ihr dagegen unternehmen?»
Faltermayer lächelte. «Was geschieht, wenn sich der gute Hirte als Wolf im Schafspelz herausstellt? Und alle Hoffnungen als Lug und Trug?»
«Dann suchen die verschreckten Schafe nach einem neuen Hirten.»
Faltermayer nickte. «Außerdem sind ihr Vermögen und das ihrer Familie nicht zu verachten. Schließlich muss jemand für die Verfahrenskosten aufkommen. Und wenn etwas übrig bleibt, dann wird es nicht zum Schaden der bischöflichen Kasse sein.»
Der Bischof hob daraufhin sein Glas, das feine Lächeln seines ersten Hexenkommissars entging ihm.
Noch war die hungrige Fledermaus nicht satt. Sie suchte nach neuer Beute, unten am Fluss, wo zwei Lagerfeuer brannten. Ein Schwarm saftiger Fliegen machte sich Hoffnungen auf die Reste einer Katze, die da am Drehspieß hing.
«Der wievielte Brandtag ist es?», fragte ein Stadtknecht.
«Ich habe aufgehört zu zählen», antwortete der andere. Er drehte den Spieß langsam. Das dürre Katzenvieh würde kaum für einen reichen. Er fragte sich, ob er dem andern nicht lieber eins über den Schädel ziehen sollte.
«Das wäre dann der dritte in diesem Monat», rechnete der Erste, «oder gar der vierte?»
«Und wenn’s der fünfte wär’, würd’s mich auch nicht kümmern. Je früher wir das Hexengeschmeiß los sind, desto besser.»
«Die Kerker sind voll. Neuer Platz muss her, oder der Dürr kürzt seine Verfahren um die Hälfte. Blass ist er geworden, fast wie der Tod.»
«Kein Wunder. Er steht mit einer Hex’ auf und geht mit einer anderen zu Bett.»
«Meinst du seine Mutter, die alte Dürr?»
Der andere lachte gehässig. «Wenn sich die Vorwürfe gegen sie bestätigen, dann geht’s hier bald richtig los. Bin gespannt, wie der Bischof darauf reagiert.»
«Wohl eher der Faltermayer. Was der sagt, wird gemacht.»
Ein Blitz durchschnitt die dichte Wolkendecke, gefolgt von einem Grollen, das sich im Maintal verfing.
«Himmel, Arsch und …», fluchte der andere. Jetzt machte ihm auch noch das Wetter einen Strich durch die Rechnung. «Das Vieh ist noch nicht einmal halb durch …»
«Macht nichts», sagte der Erste, zog sein Messer und schnitt ein Stück ab.
Doch ehe er abbeißen konnte, krachte wie aus dem Nichts ein Prügel auf seinen Kopf.
Die ersten Tropfen fielen, und der Mückenschwarm flüchtete. Auch die Fledermaus musste schauen, dass sie unterkam. Wenn Regen fiel, war es mit ihren Flugkünsten schnell vorbei. Ein Fachwerkhaus mit einem überstehenden Dachstuhl würde sie vor der Nässe schützen. Zum Glück ragte ein ausreichend langer Nagel aus dem Gebälk hervor, an den sie sich kopfüber klammerte. Hinter dem danebenliegenden Fenster hatte ein anderes Gewitter schon längst begonnen.
«Dieses irrsinnige Weibsbild bringt uns noch alle in den Kerker», polterte ein aufgebrachter Dürr. «Was hast du ihr getan, dass sie dich besagt?»
Mutter Dürr hielt demonstrativ die Arme vor der Brust verschränkt. Sie war sich der gefährlichen Lage durchaus bewusst, in der sie und ein wenig auch ihr Sohn steckten. Doch der Ton, den er sich ihr gegenüber erlaubte,
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