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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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aufgestanden?«
    Er dreht sich um. In der Tür steht, mit zerzaustem Haar, barfuß, in Unterwäsche, mit dem Daumen im Mund, noch halb schlafend, der Junge.
    »Komm!«, ruft er ihm zu. »Sag Ana guten Tag. Ana wird uns bei unserer Suche helfen.«
    Der Junge kommt zu ihnen geschlendert.
    »Ich werde euch helfen«, sagt Ana, »aber nicht auf die von Ihnen gewünschte Weise. Die Menschen hier haben sich von alten Bindungen reingewaschen. Sie sollten dasselbe tun: alte Beziehungen loslassen, sie nicht weiterverfolgen.« Sie langt nach unten und zaust das Haar des Jungen. »Hallo, Schlafmütze!«, sagt sie. »Bist du noch nicht reingewaschen? Sag deinem Papa, dass du reingewaschen bist.«
    Der Junge schaut von ihr zu ihm und wieder zurück. »Ich bin reingewaschen«, murmelt er.
    »Na also!«, sagt Ana. »Hab ich’s Ihnen nicht gesagt?«
     
    Sie sind im Bus, unterwegs zum Hafen. Nach einem gehaltvollen Frühstück ist der Junge entschieden vergnügter als gestern.
    »Treffen wir Álvaro wieder?«, fragt er. »Álvaro mag mich. Er lässt mich auf seiner Pfeife blasen.«
    »Das ist nett. Hat er gesagt, dass du ihn Álvaro nennen darfst?«
    »Ja, so heißt er. Álvaro Avocado.«
    »Álvaro Avocado? Hör mal, Álvaro ist sehr beschäftigt. Er hat viel zu tun, außer auf ein Kind achtzugeben. Du musst aufpassen, dass du ihn nicht störst.«
    »Er hat nicht viel zu tun«, sagt der Junge. »Er steht nur da und guckt.«
    »Für dich sieht es vielleicht wie Dastehen und Gucken aus, doch eigentlich beaufsichtigt er uns, achtet darauf, dass Schiffe pünktlich entladen werden, achtet darauf, dass jeder das tut, was er tun soll. Das ist eine wichtige Aufgabe.«
    »Er sagt, er bringt mir Schach bei.«
    »Das ist gut. Schach wird dir gefallen.«
    »Werde ich immer mit Álvaro zusammen sein?«
    »Nein, bald wirst du andere Jungen kennenlernen, mit denen du spielen kannst.«
    »Ich will nicht mit anderen Jungen spielen. Ich möchte mit dir und Álvaro zusammen sein.«
    »Aber nicht die ganze Zeit über. Es ist nicht gut für dich, die ganze Zeit mit Erwachsenen zusammen zu sein.«
    »Ich will nicht, dass du ins Meer fällst. Ich will nicht, dass du ertrinkst.«
    »Mach dir keine Sorgen, ich werde gut aufpassen, dass ich nicht ertrinke, das verspreche ich dir. Solche dunklen Gedanken kannst du fortscheuchen. Du kannst sie verjagen wie Vögel. Wirst du das tun?«
    Der Junge antwortet nicht. »Wann gehen wir wieder zurück?«, fragt er.
    »Zurück übers Meer? Wir gehen nicht zurück. Jetzt sind wir hier und leben hier.«
    »Die ganze Zeit?«
    »Für immer. Bald machen wir uns auf die Suche nach deiner Mutter. Ana wird uns helfen. Wenn wir erst einmal deine Mutter gefunden haben, wirst du nicht mehr daran denken, zurückzugehen.«
    »Ist meine Mutter hier?«
    »Sie ist irgendwo in der Nähe und wartet auf dich. Sie hat schon lange gewartet. Alles wird sich klären, wenn du sie zu sehen bekommst. Du wirst dich an sie erinnern und sie wird sich an dich erinnern. Du glaubst vielleicht, dass du reingewaschen bist, aber das stimmt nicht. Du hast noch deine Erinnerungen, sie sind nur zeitweilig verschüttet. Jetzt müssen wir aussteigen. Das ist unsere Haltestelle.«
     
    Der Junge hat sich mit einem der Zugpferde angefreundet, dem er den Namen El Rey gegeben hat. Obwohl er verglichen mit El Rey winzig ist, hat er gar keine Angst. Auf Zehenspitzen bietet er ihm Hände voll Heu und das riesige Tier beugt träge den Kopf, um die Gabe anzunehmen.
    Álvaro schneidet in einen der Säcke, die sie entladen haben, ein Loch, aus dem Körner rieseln können. »Hier, füttere El Rey und seinen Freund damit«, sagt er zu dem Jungen. »Pass aber auf, dass du ihnen nicht zu viel gibst, sonst blähen sich ihre Bäuche wie Luftballons und wir müssen sie mit einer Nadel anstechen.«
    El Rey und sein Freund sind eigentlich Stuten, aber Álvaro korrigiert den Jungen nicht, bemerkt er.
    Seine Schauermann-Kollegen sind recht freundlich, doch merkwürdig interesselos. Keiner fragt, wo sie herkommen oder wo sie untergebracht sind. Er nimmt an, dass sie ihn für den Vater des Jungen halten – oder vielleicht, wie Ana vom Zentrum, für seinen Großvater.
El viejo
. Keiner fragt, wo die Mutter des Jungen ist oder warum er den ganzen Tag hier im Hafen rumhängen muss.
    Am Kai befindet sich ein kleiner Holzschuppen, den die Männer als Umkleideraum nutzen. Obwohl die Tür sich nicht abschließen lässt, sind sie es offensichtlich zufrieden, ihre Overalls und Stiefel dort

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